Initiales Chamäleon Covid19

Jeden Tag prasseln neue Informationen bezüglich der Covid19-Pandemie auf uns ein und mir fällt es selbst zunehmend schwer gut zu filtern und zu bewerten.

Ich will mich auch gar nicht an diesen oft nur als Spekulationen zu bezeichnenden Berichten beteiligen.

Dennoch möchte ich mich auf einen extrem interessanten Vortrag von Prof. Gattinoni aufmerksam machen, der bei den Kollegen von www.news-papers.eu vorgestellt und auf deutsch super zusammengefasst wurde.

Prof. Gattinoni gilt international als „Beatmungs-Papst“ und weiß sicherlich wovon er spricht. Er hat es sich zudem sicher nicht träumen lassen mal im Epizentrum einer Epidemie zu arbeiten und hat es auch nicht nötig durch fragwürdige Neuigkeiten auf sich aufmerksam zu machen.

Hier der Link:

http://news-papers.eu/?p=11362

 

Es gibt viele interessante Aspekte und praktische Hinweise, die man in meinen Augen beherzigen sollte, aber eine Sache möchte ich ganz gezielt aufgreifen, da es sich mit meinen Einsatzerlebnissen der letzten Wochen absolut deckt:

 

Prof. Gattinoni berichtet von einer bereits sehr frühen und schweren Hypoxämie bei den Covid19-Patienten, die dann im Weiteren einen schweren Verlauf nehmen. Klinisch zeigt sich eine Tachypnoe mit sehr tiefen Atemzügen. Dies ist auf einen sehr ausgeprägten Atemantrieb zurück zu führen, der zu einem massiven Atemminutenvolumen führt. Dennoch kann die Hypoxämie oft nicht ausgeglichen werden, interessanterweise fällt dieser starke Atemantrieb den Patienten oftmals aber gar nicht auf, die Frage nach Atemnot wird verneint. Längst nicht bei allen Covid19-Patienten kommt es initial zu Fieber und Husten! Daher ist das initiale Erscheinungsbild trotz eigentlich bereits erheblicher Schädigung klinisch bunt und kann leicht mißverstanden werden.

So kann/muss ich von drei Patienten berichten, die dann im Verlauf eine Covid19-Pneumonie erlitten haben:

1.)   Patientin mit Tachyarrhythmie absoluta, SpO2 bei Raumluft 90%, die Tachypnoe hatte ich ehrlich gesagt bei blandem Auskultationsbefund auf die Aufregung und kühle Finger geschoben. Blutdruck und Temperatur normal.

2.)   Patient mit Synkope, Erstereignis, aus der Ruhe heraus (und somit "high risk" als einzige Auffälligkeit). Hatte vorher nur gemerkt, dass er sich nicht ganz wohl fühlt und nicht gänzlich durchatmen kann. Kein Fieber, Vitalwerte allesamt normal, ebenso VAG bds.

3.)   Gemeldeter Schlaganfall, Patientin hat Wortfindungsstörungen und ist leicht verwirrt. Im Rahmen der Standardversorgung fällt eine Temperatur von 38,8°C, ein SpO2 bei Raumluft von 80% (ohne Atemnot!) und eine Atemfrequenz von 20/min auf. Husten wird verneint, auch das Fieber hatte man selbst noch nicht realisiert.

 

Alle Patienten waren im Rentenalter und hatten Vorerkrankungen.

 

Was machen wir nun aus den Erkenntnissen aus dem Vortrag und den praktischen Erlebnissen? Mir ist es ganz wichtig nicht alle Patienten „unter Generalverdacht zu stellen“, denn es darf auf keinen Fall die ansonsten routinierte Abarbeitung der anderen Notfallbilder verzögert werden. Ansonsten haben wir bei diesen „normalen“ Patienten dann eine erhöhte Morbidität und Mortalität. Im professionellen Rettungsdienst aus Sorge um eine eigene Infektion eine indizierte Reanimation nicht oder nur sehr verzögert und inadäquat zu beginnen halte ich für eine Katastrophe. Die Rückfrage, ob das instabile Polytrauma vielleicht auch Covid19 hat, halte ich für nicht zielführend. Ebenso macht es in meinen Augen keinen Sinn pauschal nun im Vollschutz zu arbeiten, denn die Ressourcen sind knapp und die Arbeit leidet. Wichtig sind in meinen Augen im Rettungsdienst aktuell ein Mund-Nasen-Schutz sowie Untersuchungshandschuhe bzw. wdh. Händedesinfektion. Steigt der Verdacht auf eine Infektion bekommt der Patient auch einen Mund-Nasenschutz angelegt und der Helfer verstärkt seine PSA. Bei der Klinikanmeldung sollten nach der Arbeitsdiagnose die sonstigen Auffälligkeiten wie Tachypnoe/Fieber/Hypoxämie mitgeteilt werden, damit sich die Notaufnahmen darauf einstellen können. Nach dem Einsatz ist eine gute Flächen- und Gerätedesinfektion eh obligat.

Wir sollten auf jeden Fall im Rettungsdienst vigilant sein, dass sich die Covid19-Pneumonie nicht immer klassisch präsentiert und differentialdiagnostisch die Wahrscheinlichkeit abgewogen werden sollte.

Mir ist bewußt, dass es aktuell keine leichte Situation für Alle ist und große Unsicherheiten bestehen. Hysterie und ein Generalverdacht gegenüber allen Patienten macht auch keinen Sinn. Viel mehr sind nun medizinisch-tugendhafte Eigenschaften gefragt, die man sich nun auf die Fahnen schreiben sollte: Selbst Ruhe bewahren, keinen Fixierungsfehlern verfallen, besonnen und sauber Arbeiten (Anamnese, klinische Untersuchung, Messwerte), klinisch differenziert im Team diskutieren und Auffälligkeiten abwägen. Ist es nicht das, wo für wir diese Branche ausgewählt haben? Rational Mitdenken und verantwortungsvolles Handeln ist gefragt. Jetzt kann jeder zeigen was er/sie drauf hat bzw. weiß/kann.

 

Spekuliert nicht sondern beobachtet interessiert die weitere Entwicklung, wir alle müssen noch viel Lernen, sind aber gemeinsam auf einem guten Weg.

 

Liebe Kollegen, bitte haltet die Ohren steif und bleibt/werdet wieder gesund!

 

Nachtrag: Und kurz darauf gab es gleich eine überraschende Entwicklung zum Thema, welches ich gleich in einem weiteren Beitrag aufgearbeitet habe:

https://www.passion-notfallmedizin.de/2020/04/19/update-initiales-chamäleon-covid19/