Letale Kokain-Intoxikation

Ich hatte dieser Tage einen tragischen Einsatz im Rahmen einer Kokain-Intoxikation, der mir schmerzlich aufgezeigt hat, wie wenig ich von dieser recht weit verbreiteten Droge weiß, auch wenn ein besseres Wissen vermutlich keine Auswirkungen auf das Outcome gehabt hätte.

 

Der Fall: Eine junge Frau (Jhg, 1991) konsumiert innerhalb weniger Stunden mehrfach und wohl in vergleichsweise hoher Dosis nasal wie intravenös Kokain.  Kurz nach einer erneuten intravenösen Injektion kommt es fremdanamnestisch eruiert zu einem generalisiert tonisch-klonischem Krampfanfall mit Einnässen und Zungenbiss. Kurz darauf habe die Atmung sistiert, woraufhin mit wenigen Minuten Verzögerung der Notruf abgesetzt wurde. Direkt unmittelbar wurde mit einer Laienreanimation begonnen. Erst 16min nach der Alarmierung  trifft aufgrund eines langen Anfahrtswegs das Rettungsteam ein. Unmittelbar wird die Laienreanimation übernommen und ALS-Maßnahmen eingeleitet. Das EKG zeigt anhaltend eine Asystolie. Nach kurzer manueller Thoraxkompression wird ein LUCAS2 eingesetzt. Die endotracheale Intubation gelingt unter fortgesetzter Thoraxkompression im zweiten Versuch, die Anlage eines periphervenösen Zugangs gelingt sofort, so dass zügig Adrenalin 1mg verabreicht werden kann. Während der knapp dreißigminütigen Reanimation werden in der Summe 6mg Adrenalin verabreicht und mit 100% Sauerstoff beatmet. Es kann ein gutes endexspiratorisches CO2 und eine SpO2 von 88% erreicht werden. Im Team werden die reversiblen Ursachen diskutiert, es stehen die Intoxikation mit Kokain sowie eine sekundäre Hypoxie im Raum. Alle anderen reversiblen Ursachen werden für unwahrscheinlich erachtet, bei anhaltender Asystolie und der Fremdanamnese wird aus eine Sonographie unter CPR verzichtet.

Nach ca. 30min leitlinienkonformer Reanimation nach ERC 2015 einigt man sich im Team-Konsens auf den Abbruch der Reanimationsmassnahmen aufgrund der anhaltenden Asystolie und vermutlich doch einige Minuten andauernder Hypoxiezeit.

Tubus und Venenzugang werden am Leichnam belassen und die Einsatzstelle der Polizei übergeben.

 

Drei Fragen haben sich mir während des Einsatzes gestellt:

1.)  Gibt es bei Kokain-Intoxikationen einen direkten Ansatzpunkt zur Therapie? Mein Grundwissen  zu Kokain ist doch schon fast naiv gering...

2.)  Wäre ein Transport unter CPR in eine Klinik mit ECLS-Bereitschaft eine Option? Für mich wäre dies eine praktikable Möglichkeit gewesen bei nicht beherrschbaren und anhaltenden Rhythmusstörungen. In diesem Fall bestand jedoch eine anhaltende Asystolie und es mußte auch eine längere Hypoxiezeit angenommen werden. Zudem ist in den Kliniken der Region keine permanente ECLS-Bereitschaft vorhanden bzw. die standardisierte Kanülierung im Schockraum ist nicht etabliert. Daher habe ich mich gegen diese „Ultima ratio – Option“ entschieden.

3.)  Kokain hat ja auch eine lokalanästhetische Wirkung.... aber ist es auch chemisch ein Lokalanästhetikum und wäre somit eine „lipid rescue“-Therapie denkbar? Da keine entsprechende Lipidlösung mitgeführt wird und vermutlich auch nicht zeigerecht hätte zugebracht werden können, verwarf ich auch diese Idee.

 

Der Fall war, ist und bleibt tragisch: Unbeabsichtigt kommt es zum Tod einer ansonsten vermutlich gesunden jungen Frau. Es war für mich hilfreich mit dem Einsatzteam ein Debriefing noch an der Einsatzstelle durch zu führen, ich denke auch für die anderen Teammitglieder war es förderlich.

Ich möchte aber nun aus der Not eine Tugend machen und habe insbesondere zu den Fragen 1 und 3 recherchiert. Frage 2 ist eine organisatorische Frage der Kliniken und bleibt auch eine Einzelfallabwägung.

 

Kokain an sich...

Mir ist aufgefallen, dass die entsprechenden Kapitel in meinen zahlreichen Büchern doch schon eher historischen Charakter haben, so dass ich mich, der Gefahr um wissenschaftliche Unschärfe bewusst, mal bei Wikipedia belesen habe. Unten findet ihr den Link von Wikipedia aber hier schon einmal stichpunktartig die für mich wichtigsten Informationen:

-       Chemisch auch Benzoylecgoninmethylester – rückt somit chemisch in die Nähe der Ester-Lokalanästhetika. Es ist ein Tropan-Alkaloid und ein Derivat von Ecgonin, welches im Kokastrauch vorhanden ist. Zumeist kommt es als Hydrochlorid-Form vor, ansonsten als freie Base.

-       Die Geschichte von Kokain ist lesenswert aber umfänglich, interessanter Weise spielt die ehemals aus Südamerika stammende Substanz eine große Rolle in der deutschen Medizingeschichte, u.a. auch als Therapeutikum gegen die Morphinsucht (also hat man den Bock zum Gärtner gemacht). Ursprünglich enthielt Coca-Cola auch mal einen beachtlichen Kokain-Anteil auf welcher zur anregenden Wirkung beitrug, mittlerweile enthält Cola aber nur noch nichtalkaloide Inhaltsstoffe der Cocablätter.

-       Pharmakologisch handelt es sich um einen Dopamin/Noradrenalin/Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, welcher zu einem erhöhten Sympathikotonus führt. Zumindest am peripheren Nerven wirkt Kokain auch wie für Lokalanästhetika üblich am Natriumkanal.

-       Kokain-hydrochlorid kann peroral, intranasal und intravenös zugeführt werden. Des Weiteren gibt es noch Cocainpaste, die freie Base (Freebase) sowie Crack, welches geraucht wird.

-       Wie man es sich fast denken kann wirkt es abhängig von der Applikationsform unterschiedlich schnell und lang – grundsätzlich fällt aber der unglaublich schnelle Wirkeintritt und die vergleichsweise kurze Wirkdauer auf. Zudem macht eine Tachyphylaxieneigung den Konsum immer größerer Mengen notwendig.

-       Es kommt über die Beeinflussung des Sympathikotonus zu einer Steigerung/Unregelmäßigkeit von Atmung und Herzfrequenz, ebenso zu einer Vasokonstriktion und dadurch zur Blutdrucksteigerung. Die Vasokonstriktion erhöht das Risiko für intracerebrale Blutungen sowie für Myokardischämien.

-       Es besteht eine deutliche psychische, aber eigentlich nicht physische Abhängigkeit.

-       Erhoffte Wirkung ist die Reduktion von Müdigkeit, Durst und Hunger. Es kommt zu Euphorie und erhöhtem sexuellen Verlangen. Insbesondere in Verbindung mit Schlafentzug kommt es aber auch rasch zu Halluzinationen und Desorientierung.

-       Klassisch und nahezu pathognomonisch kommt es zu Schleimhautschäden (auch im erlebten Fall kam es auch zu Epistaxis vor Eintritt der Reanimationssituation)

-       Die letale Dosis wird beim Schnupfen mit 1,2-1,4g angegeben, i.v. bei etwa 0,8g reinem Kokain. Grundsätzlich muss bei der Intoxikation aber nicht nur an das Kokain an sich, sondern ggf. auch an beigemischte Substanzen gedacht werden, was nicht unüblich ist. Daher besteht eine große Gefahr durch Streckmittel (wie u.a. Lidocain).

-       Nach Abklingen der Kokain-Wirkung kann es zur Ausbildung einer schweren Depression kommen.

-       Der Marktpreis bestimmt die Häufigkeit und den Umfang des Konsums, daher gibt es auch große Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern.

-       In D gibt es nur 5% so viele Kokain-Tote wie Todesfälle durch Heroin, in den USA ist diese Zahl aber sehr viel höher. Grundsätzlich gibt es aber noch eine relativ große Zahl tödlicher Mischintoxikationen mit einem hohen Anteil von Kokain.

-       Es gibt unterschiedliche Darreichungsformen:

o   Kokainsulfat = Kokainpaste. Eigentlich Zwischenprodukt in der Herstellung von Kokainhydrochlorid und daher oftmals billiger. Kann geraucht werden.

o   Kokainbase = Freebase. Ebenfalls Zwischenprodukt. Kann effektiv geraucht werden.

o   Kokainhydrochlorid = klassisches Kokain. Das Salz des Kokain, gut wasserlöslich und daher zum Schnupfen, Essen und Spritzen.

o   Crack. Ebenfalls Base des Kokain, macht sehr schnell süchtig!

Hier der Link von Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kokain

 

In meiner Bibel der innerklinischen Notfallmedizin, der 8. Ausgabe von Tintinalli`s EMERGENCY MEDICINE (Mc Graw Hill Education) steht auszugsweise zur Kokain-Intoxikation von Jane M. Prosser und Jeanmarie Perrone Folgendes geschrieben (auch wieder in Bezug auf meinen Einsatz):

-       Die Metabolisierung von Kokain erfolgt v.a. über die Plasma-Cholinesterase. Bei einem entsprechenden Enzymmangel kann es daher deutlich schneller zu einer Akkumulation mit toxischen Folgen haben.

-       Klinische Zeichen der Anwendung sind Mydriasis, Tachykardie, hypertensive Entgleisung, starkes Schwitzen und in höherer Dosierung Neigung zu Herzrhythmusstörungen, Krampfanfällen und Hyperthermie. Ebenso kann es zur QT-Zeit-Verlängerung mit konsekutiv bei entsprechender Veranlagung höherem Risiko einer Breitkomplextachykardie kommen.

-       Durch die Vasokonstriktion/Hypertension (s.o.) kommt es zu einer höheren Rate an Aortenrupturen sowie Dissektionen der Aorta und Coronararterien. Die coronare Vasokonstriktion ist besonders ausgeprägt bei gleichzeitiger Gabe von Betablockern, weshalb die Gabe hiervon bei Kokain-Konsum kontraindiziert ist. Ebenfalls negative beeinflusst wird die coronare Vasokonstriktion durch zeitgleichen Nikotinkonsum.

-       Alle Arten von tachykarden Herzrhythmusstörungen sind denkbar, auch Fälle des Takotsubo-Syndrom nach Kokain-Konsum wurden berichtet.

-       Die Frage nach Kokain-Konsum ist insbesondere bei jungen Patienten mit kardialen Beschwerden absolut berechtigt.

-       Es kann ebenso zu Schäden/Beschwerden im Bereich der Lunge und des Gastrointestinaltrakts kommen. Auch eine Rhabdomyolyse mit konsekutivem Nierenversagen ist möglich.

-       Behandlungsempfehlungen: Senkung der Körpertemperatur bei Hypertthermie, reichlich Volumengabe bei Anhalt für Rhabdomyolyse, Benzodiazepine bei generalisierten Krampfanfällen, möglichst Verzicht auf Antipsychotika wie die Neuroleptika (incl. Haldol), da diese die Krampfschwelle senken und ebenfalls die QT-Zeit verängern. Bei Hypertonie/Brustschmerzen sind Calciumantagonisten und Nitrate möglich. Bei kardialer Instabilität und insbesondere bei persistierender Breitkomplextachykardie soll eine Lipidgabe im Einzelfall erwogen werden (s.u.).

 

Ist eine „lipid-rescue“-Therapie eine Option bei einer Kokain-Intoxikation?....

In der Anästhesie und der Notfallmedizin ist seit einigen Jahren immer mehr die „lipid-rescue“-Therapie oder Intravenöse Lipidemulsion (ILE) als Antidot bei der Behandlung der lebensbedrohlichen Lokalanästhetika-Intoxikationen etabliert worden. Auch in den aktuellen Leitlinien wurde dies bereits verankert.  Auf der schweizer Seite www.toxinfo.ch habe ich eine sehr gute Zusammenfassung  von Reichert und Rauber-Lüthy gefunden, die frei zum Download verfügbar ist und uns auch bei meiner Fragestellung weiter hilft:

http://toxinfo.ch/customer/files/32/Lipidemulsion-2016_d.pdf

Auch hier ein paar Auszüge aus dem Dokument, welche Relevanz für den geschilderten Fall haben könnten:

-       Es sind auch erfolgreiche Fälle bei Einsätzen im Rahmen von Kokain-Intoxikationen bekannt (Weinberg GL 2012)

-       Die Pharmakodynamik und –kinetik ist noch nicht endgültig verstanden bzw. es gibt mitunter sich widersprechende Theorien.

-       Beim Einsatz von Lipid-Emulsionen bei Intoxikationen handelt es sich um einen Off-label-use.

-       Unter www.lipid-rescue.org kann man die Anwendung melden und somit helfen dieses Verfahren besser zu erforschen.

-       Die Art der Lipidlösung, die Dosierung sowie der Zeitpunkt der Gabe ist noch nicht endgültig geklärt bzw. befindet sich in kontroverser Diskussion.

-       Es sind auch zwei Fälle publiziert wurden, bei denen innerhalb einer Minute nach Lipidgabe es zu einer Asystolie kam, wobei nicht direkt der Zusammenhang bewiesen werden konnte.

-       Es sind Fälle bekannt, in denen die Fettmoleküle ECMO/ECLS-Filter verstopft haben.

-       Tierexperimentell ließ sich eine schlechtere Adrenalinwirkung unter gleichzeitiger Lipidgabe zeigen, es gibt aber jedoch einige case-reports von der erfolgreichen Anwendung in der Reanimationssituation beim Menschen.

 

Mein persönliches Fazit: Ich denke die Reanimation ist sehr gut gelaufen und die empfohlenen Massnahmen der aktuellen ERC-Leitlinien von 2015 wurden alle suffizient umgesetzt, was aber leider nichts am tragischen Ausgang verändert hat. Mit großem Interessie für genau solche Fälle werde ich die Entwicklung der eCPR (Anlage ECLS unter Reanimation) weiter verfolgen und dann ggf. in meine Versorgungsstrategien mit einbeziehen. Ich hoffe sehr, dass die Datenbasis zur „lipid rescue“-Therapie wächst, so dass verlässliche Aussagen (Art, Dosis, Zeitpunkt, Indikationen, Kontraindikationen) gemacht werden können.

 

UND: DROGEN SIND SCHEISSE!!!