Fallbericht Hyperkaliämie

Heute möchte ich über einen Patienten mit Hyperkaliämie vorstellen und dabei die wichtigsten Facts dazu für mich vorstellen:

Es handelt sich um einen 89jährigen Patienten, der eine bekannte chronische Niereninsuffizienz hat und schon mehrfach wurde es in der Vorgeschichte notwendig den Kaliumspiegel zu senken. Bisher musste er jedoch noch nie stationär deswegen aufgenommen werden. 

Weitere relevante Vorerkrankungen:

- Mittelschwere Aortenklappenstenose und Trikuspidalinsuffizienz, jedoch mit erhaltener linksventrikulärer Funktion

- Vorhofflimmern unter Apixaban

- Arterielle Hypertonie

- NIDDM

 

Es wird schließlich der Hausarzt angerufen und um einen dringenden Hausbesuch gebeten, da der Patient mehrfach kurz in sich zusammengesunken und dabei "seltsam gezuckt" hätte. Glücklicherweise sei er bisher dann immer wieder zügig erwacht, ist aber anhaltend blass und schweißig. Der Blutzucker wurde bestimmt und als Ursache ausgeschlossen.

 

Der Haus- und gleichzeitig Notarzt (nicht ich ;-)) stellt bei seinem Eintreffen folgenden Status fest:

A: frei

B: Leichte Rasselgeräusche beidseits, SpO2 bei Raumluft 89%

C: Kammerersatzrhythmus mit etwa 30/min, RR 70/40mmHg

D: Dem Patienten ist übel und er ist müde, zwischenzeitlich verliert er mehrfach kurz das Bewusstsein und zeigt dabei kurze klonische Entäußerungen

E: Es wird über einen übelriechenden Urin berichtet

 

Es wird bei dieser kritischen Situation umgehend ein RTW und ein RTH zum Transport in ein weiter entferntes Zentrum angefordert.

Als Erstmassnahme wird der Patient hingelegt, Sauerstoff über eine Maske verabreicht und ein Venenzugang gelegt.

Auf Atropin bis hin zu einer Gesamtdosis von 2mg reagiert der Patient nicht.

Daraufhin werden Defibrillationselektroden in der a.p.-Position aufgebracht und ein Schrittmacherversuch unternommen, was aber auch nur intermittierend und auch nur mit eingeschränktem Erfolg funktioniert.

Auch eine andere Elektrodenposition bringt keinen Benefit.

Schlußendlich wird der Patient luftgebunden in eine Herzklinik transportiert, wo er direkt bei Aufnahme ein transvenöses Pacing erhält. In der Blutprobe wird ein Kalium von 7mmol/l festgestellt, woraufhin ein Shaldon angelegt und unmittelbar mit einer Notfalldialyse begonnen wird. Nach Normalisierung des Kaliumspiegels stabilisiert sich die Herzfrequenz zunächst, bei einer erneuten bradykarden Phase wird schließlich ein endgültiger Schrittmacher implantiert.

 

Die Hyperkaliämie wurde am ehesten durch einen Harnwegsinfekt mit konsekutivem antut-auf-chronischem Nierenversagen ausgelöst. Nach antibiotischer Behandlung verbessern sich die Retentionsparameter sowie die Kaliurese, so dass die Akutdialyse wieder eingestellt werden kann.

Soweit zum Fall - nun noch etwas zur dahinter stehenden Theorie:

 

Kalium

Kalium ist das wichtigste Kation (positiv geladenes Teilchen) innerhalb unserer Zellen. Daher verbergen sich auch 98% des Körperkaliums in der Zelle. Also messen wir mit unserer Blutkaliumkonzentration nur die schlappen 2% extrazelluläres Kalium - ähnlich ist es aber häufiger, beispielsweise beim Blutzucker - auch hier interessiert unserer Körper eigentlich viel mehr die intrazelluläre Konzentration. Da man aber nunmal Blut besser untersuchen kann als Zellen und man so auch die nötigen Informationen erhält passt es auch so. Gut 70% des Körperkaliums versteckt sich übrigens in den Muskelzellen, daher ist es klar, dass man bsp. bei einem Liege- oder Chrush-Trauma auch eine Hyperkaliämie fürchten muss. Passend dazu sei die sog. Pseudohyperkaliämie durch Hämolyse bei der Blutentnahme genannt. Diese passiert recht häufig, v.a. wenn sich die Blutentnahme schwierig gestaltet. Dabei platzen die Erythrozyten und ihr Kalium wird frei, was bereits den Messwert empfindlich verändern kann. Es ist jedoch eine absolute Laborente und hat keine Konsequenz. Wer die Pseudohyperkaliämie fälschlicherweise behandelt gefährdet natürlich seinen Patienten, daher sollte man den Wert immer in Zusammenhang mit dem klinischen Erscheinungsbild des Patienten in Zusammenhang stellen.

Es steht und fällt alles mit der Verteilung zwischen dem Intra- und Extrazellularraum, da dies zum Ladungsunterschied zwischen "innen" und "außen" und somit die Zellfunktion hat. Diesen Ladungsunterschied bewerkstelligt das sog "Shifting" über die Zellwand. Wen interessiert das? Wartet ab....

Für die Entstehung einer Hyperkaliämie (über 5 bzw. 5,5mmol/l) gibt es mehre eigentlich logische Ursachen:

- Erhöhte Kaliumzufuhr: Unser Magen-Darm-Trakt bekommt es normalerweise schon hin nur bis zu einem gewissen Grad Kalium auf zu nehmen, den Rest scheiden wir hinten einfach wieder auf. Nur wenn uns der Geschmack von Kalium-Brausetabletten so reizt oder wir löffelweise Salz auf Kaliumbasis essen könnte es ein Problem werden. Die "normalen" kaliumhalsten Nahrungsmittel wie Obst, Gemüse, Nüsse und Fleisch machen eigentlich kein Problem und sollten nur bei bekannter Hyperkaliämie reduziert werden. Ansonsten kann man auch die Magen-/Darmschleimhaut dazu bringen weniger Kalium auf zu nehmen, dazu unten mehr.

- Verminderte Kaliumexkretion: Hier ist die Niere zu 80-90% zuständig. Kurz: Keine Nierenfunktion, kaum Kaliumausscheidung. Im anurischen Nierenversagen und bei normaler Kaliumzufuhr steigt das Kalium etwa um 1 mmol/l am Tag an. Manchmal sind wir auch selber schuld, denn es gibt mehrere Medikamente (als populärsten Vertreter seien hier exemplarisch die ACE-Hemmer zu nennen) welche die Kaliumausscheidung durch die Nieren verringert. Also gilt besondere Vorsicht bei niereninsuffizienten Patienten welche (wie fast immer) eine differenzierte Dauermedikation haben.

- Kaliumaustausch an der Zellmembran:  Hierfür bedarf es einiger Grundvorraussetzungen, dass hier durch geschicktes Verschieben von Kationen und Anionen über die Membran das sog. Membranpotential aufgebaut werden kann. Besonders wichtig ist hier auch wieder das Kalium. Der Kaliumtransport über die Membran ist abhängig von vielen Dingen wie pH, Blutzucker, Insulin, Serumosmolarität sowie die Funktion der Ionenkanäle an sich.

 

EKG-Zeichen

Es gibt mehrere Veränderungen im EKG, die bei einer Hyperkaliämie vorkommen können, beweisen tun sie es aber nie, da es für jede Veränderung auch andere Gründe gibt. So gibt es mitunter ein hohes sowie spitzes T (könnte bei einer ganz frischen Myokardischämie ähnlich aussehen - sog. Erstickungs-T). Es kann zu SA- oder AV-Blöcken kommen (könnte aber auch an einer Ischämie liegen, insbesondere im Bereich des Vorhofs bzw. AV-Knoten. Der QRS-Komplex kann verbreitert sein, QT jedoch verkürzt und das P an sich abgeflacht. An schlimmen Herzryhtmusstörungen drohen neben dem höhergradigen AV-Block auch eine Asystolie oder auch Kammerflimmern. Man merkt, es kann bei Hyperkaliämie fast zu allem elektrophysiologischen Unheil kommen. Schlußendlich ist dies alles begründet in der Verlangsamung und Abflachung der Aktionspotentials. Dies war übrigens im vorgestellten Fall vermutlich die Ursache, dass der externe Schrittmacher trotz Umpositionierung und hoher Energien nicht zuverlässig funktionieren wollte.

 

Behandlungsoptionen

Reduktion der Kaliumzufuhr

- Ist logisch, im Zweifelsfall muss man auf Früchte, Nüsse etc (s.o.) halt mal verzichten. Sollte künstlich enteral oder parenteral Kalium zugeführt werden, ist dies umgehend zu stoppen

- Mit Kationenaustauscherharzen wie Resonium kann man im Darm den Austausch von Natrium und Kalium beeinflussen, was aber seine Zeit braucht und in der Effektivität schlußendlich auch endlich ist. Ob es somit die Kaliumzufuhr oder -ausscheidung beeinflusst kann man diskutieren, ist aber auch egal.

 

Förderung der Kaliumaufnahme in die Zelle (Shifting)

- Eine Insulin-Glukose-Infusion ist zumindest am Anfang zumeist ein effektives Mittel, nützt aber im Rettungsdienst nichts, da wir weder den Kaliumwert bestimmen können noch Insulin dabei haben. Wirkdauer ca 4-6h.

- Das gute alte Natriumbicarbonat kann auch seine Verwendung finden, aber eigentlich nur wenn man von einer begleitenden Azidose weiß (was aber eigentlich immer der Fall ist). Die blinde Gabe eines Puffers ist aber natürlich nicht ungefährlich, in verzweifelten Situationen kann es aber die letzte Rettung sein als Ultima Ratio und Einzelfallentscheidung des Arztes. Im vorgestellten Fall war übrigens kein NaBic verfügbar, weil es nicht mehr vorgehalten wird. 

- Eine Inhalation von Beta-2-Sympathomimetika wie Salbutamol kann zu Beginn auch mal etwas Zeit einbringen, weil es auch den Kalium-Shift positiv beeinflusst und die drohenden Nebenwirkungen vergleichsweise gering sind.

 

Förderung der Kaliumausscheidung

- Gabe von kaliumarmen Infusionslösungen (welche genau ist häufig Streitpunkt der Gelehrten) führt zu einer Verdünnung im Blutkreislauf uns zu einer Erhöhung der Primärfiltrats der Nieren. Schütte ich aber viel Volumen in einen Patienten mit aufgehobener oder eingeschränkter Diurese in den Patienten kann mir dieser quasi in der Hypervolämie und nachfolgendem Herzversagen "ertrinken", also ist hier auch Vorsicht angebracht. Parallel sollte man eh die Diurese durch Schleifendiuretika (senken eh schon immer eher den Kaliumspiegel) erhöhen um das Kalium besser aus zu waschen. Und ja, es ist bei einer klinisch relevanten Hyperkaliämie in der Präklinik wirklich mal wert, dass die Trage nass wird oder die Urinflasche herausgekramt werden muss, weil es eben nicht so viele andere wirksame Optionen gibt. Nur die wenigsten werden präklinisch einen Blasenkatheter zur Bilanzierung und zur Leidensverminderung des Patienten dabei haben.

- Die Dialyse ist natürlich hoch effektiv und die Möglichkeit dazu ist ggf. schon bei der Klinikanmeldung zu erfragen.

 

Membranstabilisierung

Hierbei wird am Kaliumwert rein nichts verändert, sondern das Risiko maligner Herzrhythmusstörungen sinkt durch eine Verbesserung des Membranpotentials. Erreicht werden kann dies einfach aber nur kurzfristig durch die Gabe von beispielsweise 10ml Calciumglukonat 10%. Auch dieses Hilfsmittel war im vorgestellten Fall leider nicht zur Verfügung gestanden.

 

Kurzum: Ein nicht alltäglicher Fall, der heutzutage bei vielen Menschen mit Niereninsuffizienz aber schon mal auch in dieser Ausprägung vorkommt und unsere Hirnwindungen beansprucht. Da die präklinischen Therapieoptionen häufig sehr eingeschränkt sind ist schnelles Handeln gefragt und zeitgleich aber auch eine geschickte Wahl der Zielklinik. Die kleine Klinik "ums Eck" ohne Möglichkeit einer Dialyse auf der Intensivstation ist trotz minimaler Prähospitalzeit vermutlich nicht geschickt. Auch hier hilft wie so oft, wenn man die umliegenden Kliniken in der Region gut kennt, denn dies erspart dann einige Telefonate und wenn es dumm läuft auch einen Sekundärtransport.