Fallbericht: Geriatrischer Sturz mit traurigem Ausgang

Es wird zu einem SHT nach Treppensturz RTW und NEF alarmiert. Vor der Haustür des Patienten wird man bereits von den Angehörigen empfangen. Sie haben es poltern hören und schließlich den knapp 90 jährigen und etwa 100kg schweren Senior am Fuße einer Treppe gefunden. Es wird dem Poltern zur Folge vermutet er sei ca drei Treppenstufen herabgefallen. Initial bestand für ca 3min eine Bewußtlosigkeit, seither sei er wesensverändert. 

Der Senior liegt noch am Fuß der Treppe, eine Angehörige presst eine Kompresse auf eine Kopfplatzwunde am Hinterkopf.

A: frei

B: Dyspnoe wird verneint

C: Puls kräftig tastbar, offensichtlich arrhythmisch. Nimmt auch wegen VHF eine Antikoagulation

D: bekannte Demenz, schimpft und will in Ruhe gelassen werden

E: Kopfplatzwunde occipital, Schmerzangabe in den Beinen

Da eine Versorgung an der Treppe bei fehlenden Platzverhältnissen nicht möglich ist, wird der Patient gegen seinen verbalen Protest ca 3m vor die Haustüre auf die bereitgestellte Trage und schließlich in den RTW verbracht. Nur widerwillig wird die Bestimmung der Vitalparameter akzeptiert:

A/B: AF 15/min, beidseitiges Atemgeräusch, SpO2 94% bei Raumluft

C: HF 88/min arrhythmisch bei VHF, RR 160/90mmHg

D: GCS 14( Augen spontan offen 4, desorientiert 4, spontane Bewegung aller Extremitäten 6) bei bekannter Demenz, Pupillen mittelweit prompt lichtreagibel

E: Anhaltende Blutung am Hinterkopf unter Antikoagulantientherapie, Schmerzangabe in den Beinen, wo sich aber in der Untersuchung keine offensichtliche Traumafolge finden lässt. Bei der Palpation des Thorax stöhnt der Patient kurz auf, verneint aber Schmerzen oder Atemnot.

 

In der Folge lässt der Patient keine Untersuchung und Behandlung mehr zu und ist deutlich und kräftig abwehrend. Bei schwerer Demenz kann nicht von einer uneingeschränkten Urteilsfähigkeit ausgegangen werden, ebenso könnte ein SHT diese beeinträchtigen. Weiter muss die große Platzwunde versorgt werden, um die Blutung zu stillen. Zum Eigenschutz für den Patienten wird entschieden den Patienten zu sedieren. Hierzu werden ihm 10mg Midazolam intranasal verabreicht, jedoch gelingt es ihm den jeweils 1ml in beiden Nasenlöchern gekonnt nach Außen zu prusten. Daraufhin wird nach ca weiteren 5min ohne Reaktion auf die nasale Gabe mit etwas Mühe ein PVZ gelegt und 2mg Midazolam i.v. verabreicht. Ca 3min später beruhigt sich der Patient und legt sich hin, die Sättigung fällt jedoch auch rapide ab. Bei 90% wird eine Sauerstoffmaske mit 10l/min aufgesetzt, dennoch fällt die Sättigung weiter auf 80%, obwohl der Patient eine Atemfrequenz von 10/min und offene Atemwege hat. Darauf erfolgt die notfallmäßige Schutzintubation, die problemlos gelingt. Vor der Narkoseeinleitung wird ein RTH zum Transport ins 12 Flugminuten entfernte Zentrum alarmiert.

Der Patient kann schließlich stabil an den RTH übergeben werden. Es erfolgt die Schockraumanmeldung mit V.a. Polytrauma nach Treppensturz, führend SHT unter Antikoagulantientherapie.

 

Tags darauf erfolgt die Bitte um ein kollegiales Feedback in der aufnehmenden Klinik mit Verletzungsmuster und möglicher Erklärung für die respiratorische Insuffizienz, selbstkritisch wird für möglich gehalten, dass die Sedierung Ursache gewesen sein könnte.

 

Es wurde nicht wie vermutet ein relevantes SHT gefunden, jedoch ein schwerstes Thoraxtrauma mit Rippenserienfrakturen beidseits, Lungenkontusion beidseits sowie ein Mantelpneumothorax rechts. Hinzu kommt ein hämorrhagischer Schock ohne Nachweis einer direkten Blutungsquelle.

 

In Anbetracht des Patientenalters sowie der Vorerkrankungen und nach Rücksprache mit den Angehörigen bezüglich des vermuteten Patientenwillens entscheidet man sich bei infauster Prognose zur palliativen Therapiezieländerung, so dass der Patient wenige Stunden später im Beisein seiner Angehörigen verstirbt.

 

Was kann man aus diesem Fall lernen?

-      Einsatzmeldungen der Leitstelle sind hilfreich und gut, dürfen aber nicht zu einem Fixierungsfehler führen.

-      Bei Senioren kann auch bereits eine niedrige Unfallkinetik zu sehr schweren Verletzungen führen

-      Bei Demenzkranken ist es extrem schwer zwischen vorbestehendem neurologischen Defizit und akuter Störung bsp. durch ein SHT unterschieden werden.

-      Bei Demenzkranken ist ein Maximum an Empathie und ruhiges Vorgehen gefragt, doch manchmal kann man eine Sedierung nicht vermeiden.

-      Erhalt der Demut vor der Sedierung egal mit welcher Substanz. Müssen zwei Applikationsformen kombiniert werden ist die Wirkung schlecht vorhersehbar.

-      Erfolgt eine (Analgo-) Sedierung durchgeführt, muss stets wie in diesem Fall die Möglichkeit zur Intubation bestehen und das nötige Equipment vorgehalten werden. Hier spielt für mich der Spruch „wer A sagt und auch B sagen können“ eine große Rolle, insbesondere auch im Hinblick auf die Kompetenzzuweisung.

-      Ein „Bodycheck“ muss nicht immer die tatsächliche Verletzungsschwere widerspiegeln, in diesem Fall kam es bei kräftiger Kompression des Thorax nur zu einem leichten Stöhnen des Patienten. Schmerzen im Brustkorb oder Atemnot wurden verneint.

-      Es ist wichtig die Kontaktmöglichkeiten zu den Angehörigen zu notieren, um ggf. das Therapieziel und den Patientenwillen zu evaluieren. Dies ist gerade in diesen Tagen wichtig, in denen die Angehörigen nicht einfach pandemiebedingt in die Klinik kommen können.