Fallbericht: Narkoseeinleitung mit Hindernissen

Zunächst möchte ich mich bei meinem geschätzten Kollegen und Freund Daniel Marx entschuldigen, dass ich o.g. Bild aus seinem Buch „Faktor Mensch“ geklaut habe, aber es passt zu diesem Fallbericht leider perfekt.

 

Ich möchte Euch einen Fall vorstellen und überlasse es Eurer Phanstasie, ob es sich dabei um eine fiktive Geschichte für mein Buchprojekt „Komplikationen in der Notfallmedizin“, ein Alptraum, ein Simulationsszenario oder einen reellen Einsatz handelt.

 

Aufgrund eines neurologischen Ereignisses soll eine gut siebzigjährige Dame intubiert werden. Hierzu wird sie in den RTW verbracht. So viel zum  Grundszenario.

 

Im RTW wird eine Re-Evaluation nach ABCDE durchgeführt: 

A: frei, leicht schnarchendes Atemgeräusch

B: mit 6l/min Sauerstoffmaske mit Reservoir 92%, beidseits vesikuläres Atemgeräusch

C: HF 84/min im Sinusrhythmus, die Blutdruckmanschette am EKG des RTW steht leider nicht zur Verfügung, manuell gemessen beträgt der Blutdruck 240/120mmHg.

D: Der GCS liegt bei 6, die Pupillen sind isokor, es besteht ein Herdblicknach links oben

E: Hinweise auf ein Trauma gibt es nicht, vor ca 6h wurde die Patientin zuletzt gesehen. Sie trägt noch ihr Nachthemd und ist eingenäßt/eingestuhlt, so dass der Ereignisbeginn nicht bestimmbar ist und vermutlich länger zurück liegt.

 

Zusammenfassung: Dringliche Intubation bei eingeschränkter Oxygenierung trotz Sauerstoffinsufflation. Der Blutdruck ist hypertensiv entgleist, a.e. als Ausdruck des neurologischen Ereignis im Sinne einer schweren Bedarfshypertonie. Die Vigilanzminderung stellt die eigentliche Intubationsindikation dar. Bei V.a. auf ein schweres neurologisches Ereignis soll die Patientin nach Narkoseeinleitung an einen RTH zum Transport ins Zentrum übergeben werden, der bereits alarmiert ist.

 

Da mir die Intubation dringlich erscheint und die Patientin innerhalb von 30min an den RTH übergeben werden soll, verzichte ich auf den Tausch des kompletten EKGs auf das NEF-Gerät, da die RR-Manschetten nicht kompatibel ist. 

 

Ist ja auch kein Problem, schließlich ist das vierköpfige Team routiniert und man kann ja manuell engmaschig den Blutdruck messen. 

 

Es werden die benötigten Medikamente, die Intubation (primär konventionelle Intubation der zahnlosen Patientin, die Tasche mit dem Videolaryngoskop liegt jedoch bereit – eigentlich predige ich immer die primäre Intubation mit dem Videolaryngoskop, aber ich bin ja recht routiniert und erfahren ???!!!) sowie die Absaugpumpe vorbereitet und gestartet, ehe die Patientin über den Beatmungsbeutel und angeschlossenes Demand-Ventil präoxygeniert wird.

 

Diese Präoxygenierung muss aber abgekürzt werden, da die Patientin beginnt generalisiert zu krampfen.

 

Ist ja aber auch kein Problem, da das routinierte Team den Blutdruck manuell messen und gleichzeitig zügig aufgrund des Krampfanfalls die Narkose induzieren kann.

 

Unmittelbar nach Verabreichung der Narkotika kommt es zu einem sehr raschen Sättigungsabfall der Patientin, so dass ich mich entscheide eine vorsichtige Zwischenbeatmung durch zu führen. Hierbei merke ich, dass sich der Beatmungsbeutel nicht mit Sauerstoff füllt. Es sieht also so aus, als wäre das Demandventil defekt.

 

Ist ja auch kein wirkliches Problem, da das defekte Demandventil gegen eine normale Sauerstoffleitung ausgetauscht werden kann, auch wenn kein Reservoir vorhanden ist. Es war sogar eine Kapnographie bereits zur Präoxygenierung angeschlossen, aber durch den Krampfanfall konnte ich noch keinen Wert ablesen?! Zudem müssen wir den Blutdruck manuell messen, weil unklar ist, ob dieser sich nun durch die Ereignisse schlagartig verändert hat.

 

Die Sauerstoffsättigung steigt unter Maskenbeatmung (ein PEEP-Ventil ist leider nicht angeschlossen) ohne Sauerstoffreservoir bei 15l/min auf 85% an, mehr scheint mir nicht zu erreichen und ich beginne mit der konventionellen Laryngoskopie. Es lassen sich nicht die gewohnten anatomischen Strukturen erkennen, dafür recht viel pharyngeales borkiges Sekret.Die Laryngoskopie muss abgebrochen werden. Stattdessen erfolgt nach einer erneuten kurzen Zwischenbeatmung die orale Absaugung und nachfolgend eine erneute konventionelle Laryngoskopie. 

 

Immer noch kein Problem, aber nun wird es doch mühsam:

-      Keine oszillometrische Blutdruckmessung

-      Eingeschränkte Oxygenierung nach Krampfanfall und defektem Demand-Ventil

-      Sauerstoffzufuhr ohne Reservoir

-      Erschwerte Intubation durch Sekret

 

Bei der zweiten konventionellen Laryngoskopie bestätigt sich was sich vorher schon im Absaugschlauch abgezeichnet hat: Es ist im Rahmen der Absaugung zu einer diffusen Schleimhautblutung im Pharynx gekommen, auch nun lassen sich die anatomischen Strukturen nicht bestimmen. Neben der leichten Blutung erscheint der Larynx verändert mit einer vulnerablen, glasigen Schleimhaut.

 

Es wird also noch mühsamer:

-      Keine oszillometrische Blutdruckmessung

-      Eingeschränkte Oxygenierung nach Krampfanfall und defektem Demand-Ventil

-      Sauerstoffzufuhr ohne Reservoir

-      Erschwerte Intubation durch Sekret

-      Schleimhautblutung nach Absaugung und pathologisch veränderter Larynx

 

Zügig wird das Videolaryngoskop zusammengesteckt und im Team kommuniziert, dass die weiteren Schritte die Einlage einer supraglottischen Atemwegshilfe oder gar eine Koniotomie wäre, was bei anhaltender Blutung beides nicht optimal klingt.

 

Auch mit dem Videolaryngoskop und BURP-Manöver lassen sich nur fraglich die Stimmbänder identifizieren, welche etwas verzögert mit einem Tubus in Hockeyschläger-Form passiert werden können. Ich vermute anatomisch schwierige Intubationsverhältnisse bei V.a. maligner Veränderung des Larynx. Aber immerhin ist nun der Tubus drin.

 

Es war also schlußendlich doch mühsam:

-      Keine oszillometrische Blutdruckmessung

-      Eingeschränkte Oxygenierung nach Krampfanfall und defektem Demand-Ventil

-      Sauerstoffzufuhr ohne Reservoir

-      Erschwerte Intubation durch Sekret

-      Schleimhautblutung nach Absaugung und pathologisch veränderter Larynx

-      Schwieriger Atemweg trotz Videolaryngoskop, Hockeyschläger-Tubus und BURP

 

Gerade als das Re-Assessment nach Intubation erfolgt betritt das RTH-Team die Szenerie und möchte eine Übergabe haben. Ich merke, dass ich etwas schweißig bin, aber warum? Ist doch alles kein Problem, oder?

 

Schlußendlich wurde ja auf alle Widrigkeiten adäquat reagiert, welche einzeln betrachtet auch alle kein Problem darstellen, aber in der Summe wird es ein klassisches Beispiel des „Schweizer Käse Modells“ nach James Reason. Kommt es zur Verkettung von an sich unkritischen Widrigkeiten kann es trotz aller Sicherheitsvorkehrungen zur Katastrophe kommen. In diesem Fall kam es durch den komplizierten Ablauf glücklicherweise zu keinem anhaltenden Patientenschaden. Die Übergabe erfolgte ABC-stabil an das weiterversorgende Team.