Reminder Wirbelsäulentrauma

Es wird wieder einmal Zeit sich die Facts zu einem Notfallbild in Erinnerung zu rufen.

Der aktuelle Anlass: RTH-Einsatz nach Fahrradsturz. Der knapp sechzigjährige behelmte Mountainbiker fuhr mit vermutlich hoher Geschwindigkeit eine geteerte Straße hinab. Im Bereich einer kleinen Brücke über einen Bach kam er aus zunächst unbekannten Gründen von der Strasse ab und wurde schließlich von einem Freund in einem Bach liegend ca 3m unterhalb der Strasse aufgefunden. Das ersteintreffende Rettungsteam erkannte nach der Rettung aus dem Gewässer sofort die neurologischen Auffälligkeiten und alarmierte den RTH bei V.a. Wirbelsäulentrauma nach.

Ich treffe den Patienten schließlich perfekt versorgt im RTW an:

A - frei

B - keine Dyspnoe, keine Zyanose, vesikuläres Atemgeräusch beidseits, SpO2 91% bei kalten Fingern

C - Grenzwertig bradykard ca 50/min, hypoton mit 80mmHg syst., Sinusrhythmus, verlängerte Rekapillarisation vermutlich aufgrund der Hypothermie

D - GCS 15, kein Anhalt für schweres SHT, kompletter sensomotorischer Ausfall unterhalb des Rippenbogens.

E - Temperatur tympanal 33°, durchnässte Kleidung, kleine Schürfwunde Nasenrücken, Schmerzen im unteren Nacken, Schultern und Ellenbogen beidseits ohne offensichtliche Verletzungen. Ansonsten Bodycheck abgesehen vom neurologischen Ausfall unauffällig.

SAMPLE: Vorerkrankungen, Dauermedikation und Allergien liegen nicht vor.

Präklinische Massnahmen durch den RTW: Immobilisation mit HWS-Krause und Vakuummatratze, Wärmepacks, Monitoring, zwei großlumige periphere Zugänge mit zusammen 1000ml Ringer-Laktat, Sauerstoffgabe und 10mg Ephedrin bei Hypotonie. Vermutlich aufgrund der Hypotonie klagt der Patient über Übelkeit, welche nach 4mg Ondansetron und 1 A Vomex deutlich besser wird. 

 

Es erfolgt durch uns der schonende aber zügige Lufttransport in das nächstgelegene Traumazentrum eines Maximalversorgers. Dort bestätigt sich leider im CT die schwere Wirbelsäulenverletzung über mehrere Etagen des cervikothorakalen Übergangs mit Zerberstung mehrerer Wirbelkörper und kompletten Versatz des Wirbelsäulenverlaufs mit entsprechender Kompression/Schädigung des Rückenmarks. Geknickt ob der schweren Verletzung und der schlechten Prognose treten wir wieder den Rückflug an.

 

In meinen Augen war die Arbeit des erstversorgenden Teams vorbildlich und es gibt nichts im Sinne eines Debriefings auf zu arbeiten. Vielmehr will ich mir nochmal die Facts zum Wirbelsäulentrauma in Erinnerung bringen und mit Euch gerne teilen. Ich erhebe sicher nicht den Anspruch der Vollständigkeit und auch nicht des Expertenniveaus. Ich kann es mir jedoch dahingehend einfach machen, dass ich 2014 einen Artikel für retten! hierzu schreiben durfte (Thieme: retten! 4/14 Risiko Querschnittslähmung – Was tun bei Wirbelsäulenverletzungen? (Ahne Th, Ahne S)), andererseits ist es erschreckend, wieviel bei mir in den fünf Jahren davon schon wieder verdämmert ist. Naja, das Alter.....

 

Also, hier nochmal entlehnt aus dem genannten Artikel die Fakten:

Die Inzidenz von Wirbelsäulenverletzungen in D beträgt ca. 70/100000 Einwohner im Jahr. Bei 80% der Fälle liegen lediglich knöcherne Verletzungen ohne neurologische Folgen vor. Unter den schweren Wirbelsäulentraumen liegt die Rate an Querschnittslähmungen bei 20%, was in etwa 1300-1500 neue Querschnittsfälle in der BRD pro Jahr bedeutet (40% Tetraplegie, 60% Paraplegie s.u.). Der Männeranteil der Querschnittsgelähmten liegt bei knapp 70%. Auf die Altersgruppe 16-30 Jahre entfallen 55% der Behandlungsfälle.  Bei älteren Patienten handelt es sich häufig um osteoporotische oder pathologische Sinterungsfrakturen ohne adäquates Trauma.  Je nach Erhebung teilen sich die Schädigungsbereiche wie folgt auf: 29-55% cervikal, 15-24% thorakal, 15-37% lumbal und  10% sakral.  Am Häufigsten ist der thorakolumbale Übergang betroffen. In 50% der Fälle sind Verkehrsunfälle die Ursache (incl. Motorradunfälle), bei 25% handelt es sich um Sportunfälle, wohingegen Gewaltdelikte hierzulande eine Rarität sind.

 

Traumatologische Grundlagen

Die Stabilität der Wirbelsäule ist bedingt durch ein Zusammenspiel von Druck- und Zugbelastung. Ventral besteht überwiegend eine Druck-, dorsal eine Zugbelastung. Dadurch entstehen dann auch charakteristische Verletzungen der Wirbelsäule. Eine axiale Belastung führt zu einer Kompressionsverletzung  (Typ A  in der Klassifikation nach Magerl). Distraktionsverletzungen ( Typ B nach Magerl) entstehen durch Hyperflexion bzw. Extension, wobei die Hyperflexion eine  Zerreißung dorsaler Strukturen und eine Kompression der ventralen Kompartimente bedingt. Bei den Typ C-Verletzungen handelt es sich um Torsionsverletzung im Sinne einer Kombination aus Kompression und  Distraktion.

Besonders gefährdet sind die Übergangsbereiche zwischen den einzelnen Wirbelsäulenbereichen (atlantoocciptial, cervikothorakal, thorakolumbal) bedingt durch die dortige besondere mechanische  Beanspruchung durch den physiologischen Wechsel von Lordose und Kyphose.

Insbesondere bei Verletzung der stabilen Strukturen der unteren Extremität und des Beckens ist an das parallele Vorliegen einer Wirbelsäulenverletzung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen.

Sonderfälle bei HWS-Verletzungen: Bei Kompression können die sog. Massae laterales des ersten Halswirbels (Atlas) auseinander gedrängt werden. Frakturiert dabei der  vordere und der  hintere Wirbelbogen, so spricht man von einer instabilen und operationsbedürftigen Jefferson-Fraktur (dritthäufigste Fraktur der oberen HWS). Eine Densfraktur des zweiten Halswirbels (Axis) ist die häufigste Fraktur der oberen HWS. Als Hangman´s fracture bezeichnet man hingegen die  Trennung des ventralen vom dorsalen  Anteil des Axis.

Generell muss gedanklich eine Unterscheidung zwischen medullären (das Rückenmark an sich ist betroffen) von radikulären (umschriebener Ausfall einzelner austretender Nerven) Schäden erfolgen, da sich dadurch natürlich eine unterschiedliche Therapiebedürftigkeit ergibt. Für das Gefährdungspotential des Rückenmarks ist besonders die Frakturbeteiligung der Wirbelkörperhinterkante entscheidend, da diese ja direkt dem Rückenmark anliegt und abgesprengte Fragmente so schnell zu einer medullären Kompression führen können. Frakturen des Wirbelbogens führen häufig auch zu isoliert radikulären Symptomen.

Im Lumbalbereich kann es zu einem Conus-Cauda-Syndrom kommen: Bei Schädigung des Conus medullaris entsteht ein Conus-Syndrom mit einer Reithosenanästhesie beidseits mit Sensibilitätsausfall perianal sowie Oberschenkelinnenseiten kombiniert mit Miktions- und Defäkationsstörungen. Beim  weiter distal gelegenen Cauda-Syndrom lassen sich den neurologischen Ausfällen einzelne Nervenwurzeln zuordnen.

Beim Brown-Sequard-Syndrom kommt es zu einer einseitigen Rückenmarksschädigung mit einer Parese der verletzten Seite plus Ausfall des Temperatur- und Schmerzempfindens der kontralateralen Seite (dissoziierte Sensibilitätsstörung).

Im Rahmen der Querschnittssymptomatik wird zwischen einer kompletten Querschnittslähmung (…plegie) mit Totalausfall der distalen nervalen Funktion und einer inkompletten Querschnittslähmung  (…parese) mit Restfunktionen unterschieden. Nach der Höhe der Affektion bzw. Beteiligung der oberen Extremität kann man zwischen Tetraplegie/-parese (C0-T1) und Paraplegie/-parese (T2-S5) unterscheiden.

Merke: komplette Querschnittslähmung -> Plegie, inkomplette Querschnittslähmung -> Parese. C0-T1 mit Beteiligung der oberen Extremität (Tetra…), ansonsten auf untere Extemität beschränkt (Para…)

Bei der kompletten Querschnittslähmung kommt es zu einer  schlaffen, motorischen, sensiblen und vegetativen Plegie ab Verletzungshöhe mit konsekutiver Blutvolumenverschiebung. Die klinische Symptomatik des Spinalen Schocks besteht aus Hypotension, Bradykardie und Hypothermie durch eine maximale Vasoparalyse aufgrund des Ausfalls des sympathischen Grenzstrangs (Segmente T1-L2). Das Herz ist zwar prinzipiell in seiner Funktion autonom, jedoch wird es über das vegetative Nervensystem moduliert – daher geht die Herzfrequenz bei Ausfall des sympathischen Grenzstrangs auf seine „Grundfrequenz“ zurück. Diese Symptomatik kann Tage bis Wochen andauern. Dennoch ist der spinale Schock immer Ausschlussdiagnose zu den anderen Schockformen. So muss stets zunächst nach Hinweisen auf die anderen Schockformen gesucht und etwaige Therapiemassnahmen ergriffen werden, ehe man sich mit der Diagnose spinaler Schock zufrieden gibt.

CAVE: Bei Übergewicht des parasympathischen Nervensystems (Vagotonie) durch Ausfall der sympathischen Innervation ist bei Vagusreiz (bsp. Absaugen) mit einer extremen Bradykardie bis hin zur Asystolie zu rechnen, weshalb Atropin bereit zu halten ist.

Im Rahmen einer Querschnittslähmung kann es auch abhängig von der Läsionshöhe zu unterschiedlichen Affektionen der Atemfunktion kommen: Lähmungen unterhalb L1 haben keine Folgen für die Atemfunktion, zwischen T5-T12 kommt es zu einer Beeinträchtigung der abdominellen Muskulatur und Interkostalmuskulatur mit Herabsetzung des Hustenstoßes und der forcierten Exspiration. Zwischen T1 und T5 nimmt dieser Effekt zu, so dass nicht selten in der Folge ein regelmäßiges Absaugen des Patienten notwendig wird. Bei Läsionen zwischen C4 und C8 kann die Exspiration nur noch gänzlich passiv erfolgen. Bei Läsion des C4 und höher kommt es zum Ausfall der Zwerchfellatmung, was den Patienten vollkommen abhängig von seiner Atemhilfsmuskulatur macht. Dies ist dafür verantwortlich, dass Patienten mit einer Schädigung bis C2 meist abhängig von einer mechanischen Ventilation bleiben.

 

Diagnostik

Bevor man mit der klinischen Untersuchung am Patienten sollte man sich kurz den Zusammenhang zwischen der Unfallkinetik und den potentiellen Verletzungen klar machen, so ist beispielsweise bei Hinweisen auf eine Torsion/Rotation immer von einer instabiler Wirbelsäulenverletzung auszugehen.

Eine detaillierte Diagnostik ist präklinisch nicht nötig, da sie in dieser Versorgungsphase keine therapeutische Konsequenz hat. Mit der Arbeitshypothese Wirbelsäulenverletzung aufgrund der Patientenangaben oder klinischer Befunde steht das Behandlungsziel  mit Verhinderung von Sekundärschäden und Transport in ein geeignetes Krankenhaus fest und muss dazu nicht exakt differenziert werden.

Im Rahmen der ABCDE-Notfalldiagnostik erfolgt unter Disability und Environment eine orientierende neurologische Untersuchung. Hinweise auf neurologische Auffälligkeiten sind ein schlaffer Muskeltonus, ein sensorisches Defizit bis hin zu einer fehlenden Schmerzabwehr sowie eine ausschließliche Bauchatmung. Bei einer Querschnittssymptomatik kommt es zunächst zu einem Erlöschen der Reflexe, ehe sie nach Tagen in gesteigerter Form zurückkehren.

Nach einem sogenannten log roll (en bloc – also ohne Rotation in der Körperachse) erfolgt eine Inspektion des gesamten Rückens und das manuelle Abtasten der Wirbelsäule. Dabei ist mit dem Patienten das ungefähre Schmerzzentrum zu erfassen, dort wird dann gezielt eine auffällig tastbare Lücke zwischen den Dornfortsätzen gesucht.

 

Praxis-Tipp: Wenn ein Drehen des Patienten notwendig wird, dann unbedingt an Inspektion des Rückens und Palpation der Wirbelsäule denken  

 

Man kann jedoch auch durch eine klinische Untersuchung  eine instabile Wirbelsäulenverletzung annähernd  ausschließen, dazu müssen jedoch folgende  5 Kriterien vorliegen:

- Keine Bewußtseinsstörung oder Analgosedierung

- Kein neurologisches Defizit

- Kein Wirbelsäulenschmerz oder muskulärer Hartspann

- Keine Anzeichen einer Intoxikation

- Kein Vorliegen eines Extremitätentraumas oder einer anderen Verletzung, die von der Wirbelsäulenverletzung ablenken könnte

Die weitere Diagnostik erfolgt erst im aufnehmenden Krankenhaus durch eine radiologische Bildgebung. Als Minimum ist eine konventionelle Röntgenaufnahme in zwei Ebenen zu fordern, ggf. ergänzt durch Spezialaufnahmen (bsp. Dens axis durch den geöffneten Mund). Deutlich aussagekräftiger und in vielen insbesondere großen Krankenhäusern oft auch primär durchgeführt ist eine Computertomographie (CT) der Wirbelsäule. Goldstandard für die Beurteilung des Rückenmarks und der austretenden Nerven ist weiterhin eine Magnetresonanztomographie (MRT), welche aber häufig nicht unmittelbar bei Aufnahme zur Verfügung steht und auch zeitaufwändig ist (bei instabilen Patienten ist diese Untersuchung daher primär keine Option). Bei wachen und beurteilbaren Patienten sollte ebenfalls zügig bei Aufnahme eine fachneurologische Untersuchung zur klinischen Beurteilung der neurologischen Defizite erfolgen.

Bestehen neurologische Auffälligkeiten ohne radiologischen Nachweis einer erklärbaren Verletzung spricht man einem SCIWORA-Syndrom (spinal cord injury without radiographic abnormalities). Dann bestehen auch keine operativen Behandlungsziele, die immer eine Wiederherstellung physiologisch-anatomischer Verhältnisse zum Ziel hat.

 

Präklinische Therapie

Die präklinische Therapie eines Wirbelsäulentraumas entspricht den allgemeinen Versorgungsprinzipien der gängigen Traumakonzepte mit Vermeidung der tödlichen Hypotheken Hypotonie/Hypovolämie, Hypoxie und Hypothermie.

 

Merke: Die Behandlung der tödlichen Hypotheken Hypotonie/Hypovolämie, Hypoxie und Hypothermie gehen vor, ehe man sich detailliert um das Wirbelsäulentrauma kümmert.

 

Zumeist ist eine adäquate Schmerztherapie notwendig im Sinne einer Kombination aus einem Nicht-Opiat (Metamizol oder Paracetamol) und einem Opiat bzw. alternativ Ketanest. Bei einem kardiorespiratorisch stabilen Patienten mit guter Zugänglichkeit (also nicht eingeklemmt o.ä.) ist die Ketanestgabe wegen der höheren Rate an motorischer Unruhe ab zu wägen, zudem ist dann die anxiolytische Wirkung der Opiate von Vorteil. Die neurologischen Auffälligkeiten sind natürlich vorab zu erheben und zu dokumentieren, da der Patient anschließend u.U. nicht mehr beurteilbar ist.

Bei einem spinalen Schock wird bereits präklinisch eine erhöhte Volumengabe sowie die Gabe von Katecholaminen (i.d.R. Noradrenalin als Vasopressor) notwendig. Bei symptomatischen Bradykardien soll Atropin (oder bei Erfahrung damit Orciprenalin) gegeben werden, eine Schrittmachertherapie ist nur selten notwendig.

Viel diskutiert ist die Gabe von Methylprednisolon beim isolierten Wirbelsäulentrauma (aufgrund der negativen Begleiteffekte wie Immunsuppression und höherer Blutungsrate ist es bei Mehrfachverletzten keine Option). Große Studien haben den positiven vs. negativen Effekt hiervon untersucht, am Bekanntesten sind die Studien NASCIS I-III. Dabei wurden 30mg/kg KG plus 5,4mg/kg KG/ h Methylprednisolon für 23h gegeben. Es zeigten sich dabei nur geringe Verbesserungen der Symptomatik, so dass keine generelle Empfehlung ausgesprochen werden konnte. Das Zeitfenster für die Erstgabe liegt bei 8h posttraumatisch, so dass auf eine präklinische Gabe bei Unwissenheit zu etwaigen Begleitverletzungen verzichtet werden kann und sollte.

 

Merke: Es wird keine Gabe von Methylprednisolon in der Präklinik empfohlen!

 

Ebenso in der Diskussion stand die Gabe von Succinylcholin als depolarisierendes Muskelrelaxans bei der Narkoseeinleitung bzw. der endotrachealen Intubation. Im Rahmen einer Querschnittssymptomatik kommt es zu einer Aktivitätsänderung und Dysregulation von Muskarinrezeptoren, die nach Succinylcholingabe dann zu einer krisenhaften Kaliumausschüttung führen kann. Diese Veränderung tritt jedoch erst nach wenigen Tagen in Erscheinung, so dass die Gabe von Succinylcholin 12-24h nach dem Trauma unbedenklich ist. Vielmehr ist auf eine adäquate Relaxierung zu achten um optimale Intubationsverhältnisse zu erreichen und Massenbewegungen des Patienten auf den Intubationsreiz hin zu vermeiden. Alternativ kann man dazu natürlich auch das deutlich länger wirkende nicht-depolarisierende Muskelrelaxans Rocuronium verwenden.

Zur Intubation selbst wird die HWS-Orthese geöffnet und der Kopf durch einen Helfer in-line stabilisiert – wenn möglich ist ein Videolaryngoskop zu nutzen, um Bewegungen in der HWS zu minimieren.

Auch bei erhaltenem Bewußtsein nach Immobilisation besteht ein relevantes Aspirationsrisiko durch Erbrechen, daher ist vor Transportbeginn die Indikation einer Antiemetikagabe großzügig zu stellen.

 

Immobilisation und Transport

Da bei Wirbelsäulentraumen die Verhinderung von Sekundärtraumen (Transporttrauma) im Vordergrund steht, kommt einer effektiven Immobilisation eine herausragende Bedeutung bei.

 Alle Patienten mit dem leisesten Hinweis auf eine Verletzung der Halswirbelsäule erhalten eine HWS-Orthese (alias Cervikalstütze oder Halskrause). Diese kann jedoch nur korrekt angelegt effektiv sein, so dass die Herstellerangaben streng zu beachten sind. Beachtenswert ist auch, dass es bei (zu eng) angelegter HWS-Orthese zu einer Kompression der Halsvenen mit Reduzierung des venösen Abflusses kommen kann, was bei einem parallel vorliegenden Schädel-Hirn-Trauma eine weitere Erhöhung des intrazerebralen Drucks (ICP) zur Folge haben kann.

Für die Lagerung gibt es hierzulande hauptsächlich die Optionen Spineboard vs. die Kombination aus Schaufeltrage und Vakuummatratze, was auch schon mehrfach zu z.T. emotional geführten Diskussionen geführt hat. Studien konnten bisher keinen aussagekräftigen Vorteil einer Methode erbringen, vielmehr ist die Anwendersicherheit und Erfahrung des Rettungsteams mit der Methode die entscheidende Determinante. In ungeübten Händen bringen beide Strategien keinen Vorteil, im Gegenteil.

Vorteil Schaufeltrage/Vakuummatratze: Kaum Bewegung des Patienten bei Aufnahme des Patienten auf die Schaufeltrage und Absetzen auf der Vakuummatratze. Optimale, individuelle und bequeme Immobilisation des Patienten auf der Vakuummatratze sowie besserer Schutz vor äußeren Einflüssen bei der Rettung des Patienten zum Transportmittel.

 

Praxis-Tipp: Ein Einmaltragetuch auf der Vakuummatratze bringt Vorteile in der Zielklinik.

Vorteil Spineboard: Eine Umlagerung weniger im Vergleich zur Kombination Schaufeltrage/Vakuummatratze. Gute Kombinationsmöglichkeit mit Untersuchungsgang der Wirbelsäule mittels log-roll. Gute Zugänglichkeit zum Patienten während des Transportes.

 

Eine zusätzliche Option bei sitzenden und kardiorespiratorisch stabilen Systemen ist das K.E.D-System (Kendrick Extrication Device) vor der Überführung auf das eigentliche Immobilisationsmittel mit dem Zweck einer Rotationsvermeidung bei der Rettung aus dem Kraftfahrzeug. Allerdings ist auch diese Methode sehr von der Anwendersicherheit abhängig und ist auch bei geübten Helfern vergleichsweise zeitaufwändig.

 

Praxis-Tipp: Egal welches Immobilisationsmittel man nutzt, nur regelmäßiges Üben der Techniken bringt Anwendersicherheit im Ernstfall!

Die Wahl des Transportmittels hängt entschieden neben dem erwarteten Verletzungsausmaß von der Distanz zur aufnehmenden Klinik und dem Straßenzustand bis dorthin ab. Erscheint der Transport mit einem Rettungshubschrauber sinnvoll, so ist dieser möglichst frühzeitig zu alarmieren um einen Zeitverlust zu vermeiden, ebenso ist ein erneutes Umlagern des Patienten von einem Immobilisationsgerät auf ein Anderes möglichst zu umgehen, auch wenn es einen erhöhten logistischen Aufwand bedeutet.

 

Praxis-Tipp: Bei Festlegung der Arbeitshypothese Wirbelsäulentrauma kurz Zielklinik und erwarteten Transportverlauf überlegen. Nur bei Überlegenheit des RTH macht dessen Nachalarmierung auch Sinn.

Bei Ankunft in der Zielklinik ist bis zum radiologischen Ausschluss einer instabilen Wirbelsäulenverletzung die Immobilisation aufrecht zu erhalten, auch wenn in vielen Kliniken weiterhin mit dem (z.T. unbegründeten) Argument der besseren radiologischen Bildqualität verfrüht die Immobilisationsmittel entfernt werden. Das präklinische Behandlungsteam sollte aber auf jeden Fall an einem strengen Immobilisationsregime zur Vermeidung eines Transporttraumas fest halten.

 

Fazit: Schwere Wirbelsäulenverletzungen mit persistierenden neurologischen Ausfällen sind zwar selten, haben aber schwerwiegende Folgen für den Patienten und seine Angehörigen. Zudem entsteht ein nicht zu unterschätzender volkswirtschaftlicher Schaden. Der durch das Trauma entstandene Primärschaden ist i.d.R nicht mehr zu beeinflussen, so dass die Verhinderung von Sekundärtraumen im Zentrum des Handelns steht. Die Arbeitsdiagnose Wirbelsäulenverletzung ist schnell zu stellen, eine weitere detaillierte Untersuchung vor Ort ist nicht notwendig, da sie keine Therapieänderung bewirkt und die Ängste des Patienten nur steigert. Therapeutisch steht die adäquate Analgesie und ggf. die Therapie des spinalen Schocks im Vordergrund. Nach der Ganzkörperimmobilisation erfolgt der schonende Transport in ein Krankenhaus mit Versorgungsoption für schwere Wirbelsäulentraumen.