Reminder: Bolusaspiration

Häufig schon habe ich die Facts zur Bolusaspiration unterrichtet, wobei ich es selbst nur 2-3 mal als ernst zu nehmenden Einsatzanlass hatte.

 

Das empfohlene eskalierende Vorgehen ist klar:

Erwachsene - Ersthelfermassnahmen:

1.) Zum Husten auffordern (Selbständiges Husten ist die effektivste Massnahme, daher ist diese Ersthelfermassnahme essentiell).

2.) Schläge zwischen die Schulterblätter (Wie jeder von uns aus eigener Erfahrung weiß nützt es allein kaum etwas, sondern soll nur helfen die letzten Kräfte zum eigenständigen Husten mobilisieren).

3.) Heimlich-Handgriff: Patienten von hinten umgreifen mit den Händen faustförmig in der Magengrube, dann ruckartige Bewegung mit maximaler Kraft in den Thorax hinein um einen künstlichen Hustenstoß zu erzeugen. Cave: Danach ist auf jeden Fall eine Röntgen-Untersuchung des Thorax sowie ein Sono-Abdomen zu fordern, im Zweifelsfall auch eine stationäre Überwachung.

4.) Bei Bewußtseinsverlust Beginn von zunächst einzelnen Thoraxkompressionen, die dann in eine "normale" Reanimation münden.

Die Ersthelfermassnahmen beim Kind unterscheiden sich nur marginal: Unter einem Jahr erfolgen 5 Rückenschläge im Wechsel mit 5 einzelnen Thoraxkompressionen. Über einem Jahr werden 5 Rückschläge im Wechsel mit 5 Oberbauchkompressionen (Heimlich) empfohlen.

 

Erwachsene/Kinder - professionelle Massnahmen:

Bei Erfolglosigkeit der Ersthelfermassnahmen und Bewußtseinsverlust

1.) Orale/pharyngeale Inspektion mit dem Lanryngoskop, Ansaugversuch, ggf. Bergung des Bolus mit der Magill-Zange.

2.)Bei nicht zu beseitigendem Bolus auf Stimmbandebene Koniotomie erwägen, wobei beachtenswert ist, dass das Lig. conicum nur wenige Millimeter unterhalb der Stimmbandebene ist.

3.) Versuch des blinden Vorschiebens mit einem Endotrachealtubus in den vermutlich rechten Hauptbronchus UND ZURÜCKZIEHEN des Tubus in die Trachea, um über den verbleibenden Lungenflügel einseitig zu beatmen. Achtung: Die Atemwege sind ein konisches System, und somit wird das Vorschieben des Bolus nach peripher immer schwieriger. Ebenso ist es möglich, dass der Bolus auf der Carina zum liegen kommt und sich nicht weiter vorschieben lässt. Dann ist weiterhin keine Beatmung möglich mit einem tragischen Verlauf.

 

Vor kurzer Zeit wurde ich nun zu einer Reanimation eines einjährigen Kindes hinzu gerufen: Nur kurz hatte die Mutter das krabbelnde Kind allein gelassen, da hörte sie es Husten und Würgen. Rasch wurde es zyanotisch und wurde bewußtlos. Die Mutter lief mit dem Kind zur Nachbarin im selben Haus, welche den Notruf absetzte und mit einer Basisreanimation begann. Für den ersteintreffenden Rettungsdienst war auffällig, dass weder der Ersthelferin die Mund-zu-Mund/Nase-Beatmung noch dem Team die Maskenbeatmung gelang. Daher und aufgrund der anamnestischen Angaben der Unfallsituation entschlossen sich die Kollegen parallel zur Thoraxkompression eine Laryngoskopie durch zu führen. Dabei war unterhalb der Stimmbänder eine weißliche Struktur zu erkennen, die aber nicht mit der Magill-Zange zu erreichen war. Es gelang jedoch einen Endotrachealtubus tief ein zu führen. Die Arbeit des erstversorgenden Teams war hervorragend professionell und weit über das zu erwartende/wünschende Level hinaus - mein tiefer Respekt dem Team! Schlußendlich war die Reanimation primär erfolgreich, das Kind verstarb jedoch später in der Klinik aufgrund des schweren hypoxischen Hirnschadens.

 

Was ich aus diesem tragischen Fall gelernt habe:

1.) Ich mache der Mutter keine Vorwürfe, denn ich kenne es selbst aus eigener Erfahrung: Man kann spätestens im Krabbelalter nicht permanent im gleichen Raum mit Blick auf das Kind sein.

2.) Man müßte dieser Gefahr (ebenso wie der Ertrinkungsunfall im Sommer) mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit widmen. Es gibt kaum eine Familie, in der es keine Geschichte zu einem mehr oder weniger schweren Vorfall gibt, es ist also keine Rarität sondern glücklicherweise geht es zumeist nur glimpflicher aus. Dieser präventive Aspekt sollte mehr ausgeschöpft werden.

3.) Gerade bei Bolusaspirationen kommt den Ersthelfern eine überragende Rolle zu, denn das Zeitfenster für die Erstmassnahmen ist außerordentlich kurz und ihre Effektivität ist deutlich höher als die professionellen Massnahmen, bei denen "das Kind bereits im Brunnen ist". Bei vielen Notfällen können Laienhelfer nicht viel ausrichten, aber neben der klassischen Reanimation kann man insbesondere bei der Bolusaspiration mit einfachen Massnahmen wirklich Leben retten.

4.) Ich muss bei meinem Unterricht zu diesem Thema meine Meinung ändern: Ich war der Meinung, dass das Vorschieben des Bolus in einen Hauptbronchus eine eher theoretische Möglichkeit mit wenig Erfolgsaussichten ist. Das Team vor Ort hat aber das erfreuliche Gegenteil bewiesen, geistesgegenwärtig ermöglichten sie überhaupt erst eine primär erfolgreiche Reanimation. 

5.) Ein solcher Unglücksfall beschäftigt immer alle Beteiligten anhaltend. Auch in diesem Fall machte die Debriefing-Card eine Nachbesprechung auch über Organisationen hinweg möglich, die ich als sehr hilfreich empfunden habe. So konnte erörtert werden, dass es sich um einen tragischen Unglücksfall handelte, der sich durch den Rettungsdienst nicht mehr positiv beeinflussen ließ. Die Arbeit vor Ort war sicherlich vorbildlich und nicht optimierbar. 

 

Noch eine Anekdote zum Schluss:

Ich hatte mal vor ein paar Jahren einen Patienten in eine Notaufnahme gebracht, nachdem ein Ersthelfer mit der vollen Kraft des Heimlich-Handgriffs ein Steak-Stück hinaus befördert hatte. Dies hatte ich auch bei der Übergabe im Krankenhaus erwähnt, erntete aber nur Unverständnis, weshalb ich den Patienten denn vorstellen würde, wenn es ihm doch nun gut geht. Nach einem Folgeeinsatz ins gleiche Krankenhaus fragte ich nochmal nach dem Glückspilz von der Grillfeier und erfuhr, dass er ohne weitere Untersuchung wieder entlassen wurde. Es stellte sich heraus, dass der Dienstärztin nicht bekannt war, was ein Heimlich-Handgriff ist und welche Folgen er haben kann. Als ich ihr von Leber-, Magen-, Milzverletzungen sowie Rippenfrakturen erzählte wurde sie ganz bleich..... 

Seither hake ich immer spießig nach, ob es Rückfragen oder Unklarheiten zu meiner Übergabe gibt. Ich bitte kompetente Kollegen in der Notaufnahme um Nachsicht, aber ich bin eben ein gebranntes Kind....