Zwei Fallberichte zum Thema "Lunge" - Fall2

Wie bei Fall 1 in Aussicht gestellt möchte ich noch einen weiteren Fall zum Thema Lunge vorstellen, der dieses mal aber nichts mit einem Trauma zu tun hat.

 

Fall 2

Alarmiert wird zu einer gemeldeten Reanimation. Die Leitstelle informiert zudem, dass eine Telefonreanimation angeleitet werden würde. Ca. 4min nach der Alarmierung erreicht das NA-Team den Notfallort, ca weitere fünf Minuten später der RTW. Die Ehefrau führt uns ins Haus, Reanimationsmassnahmen seien ihr nicht gelungen. Wir finden einen knapp 70jährigen Patienten im Bett liegend vor. Er zeigt lediglich noch eine Schnappatmung ohne nennenswertes Atemvolumen. Zügig wird der Patient vor dem Bett auf den Boden gelegt (ausnahmsweise mit viel Platz im Schlafzimmer). Eher überraschenderweise läßt sich ein bradykarder Carotispuls tasten. So beginne ich mit der Maskenbeatmung während mein Teampartner den Defi anschließt welcher einen bradykarden Sinusrhythmus um 40/min anzeigt. Unter Maskenbeatmung mit Demand-Ventil (FiO2 1,0), steigt die Herzfrequenz wieder, die erste abgeleitete pulsoxymetrische Sättigung zeigt jedoch Werte von 60% bei gutem Pulssignal. Der erste Blutdruck ist bei über 100mmHg systolisch. Der GCS bleibt bei 3 Punkten unter fortgesetzter Maskenbeatmung, obwohl die Sauerstoffsättigung bis auf 93% ansteigt. Als der RTW eintrifft gelingt meinem Teampartner gerade die Anlage eines PVZ in der V. saphena magna bei ansonsten schlechten Venenverhältnissen (i.o. wäre der Plan B gewesen, mein Partner hätte mich hierzu aber verlassen müssen, da es nicht standardmäßig mitgeführt wird). 

Bei anhaltender Beatmungspflichtigkeit erfolgt noch auf dem Boden des Schlafzimmers die Narkoseeinleitung (Fentanyl, Dormicum, Succinylcholin) und problemlose konventionelle Intubation. Bei den ersten Beatmungen über den Endotrachealtubus fällt sofort auf, dass ein hoher Beatmungsdruck notwendig ist. Eine Fehlintubation kann ausgeschlossen werden (Intubation unter Sicht, Kapnographie, Auskultation). Auffällig ist zudem ein extrem hohes etCO2 von >70mmHg sowie ein kaum wahrnehmbares Atemgeräusch in der Auskultation im Sinne einer "silent chest". Zum klinischen Bild der akuten Bronchoobstruktion passt auch eine steile Kapnographiekurve ohne Erreichen eines Plateaus sowie ein stark verlängerte Exspirationszeit. Immerhin kann eine weitere Hypoxie durch die Anwendung eines maximalen FiO2 von 1,0 verhindert werden.

Die Fremdanamnese über die schockierte Ehefrau ergibt einen sonst rüstigen Allgemeinzustand ohne relevante Beeinträchtigung, regelmäßig würde er nur Ramipril und Simvastatin einnehmen. Nur die letzten Tage hätte er sich nicht wohl gefühlt und hätte über Übelkeit und Durchfall geklagt. Auf dem Nachttisch finden wir ein Asthmaspray, woraufhin die Ehefrau angibt ihr Mann würde dies gelegentlich nutzen, wenn er "mal nach Luft japst", zu einer Klinikeinweisung hätte dies aber noch nie geführt.

Da die Transportvorbereitungen nun abgeschlossen sind, wird der Patient nun zunächst in den RTW verbracht. Dort lässt er sich auch am einfachen Notfallrespirator kaum ventilieren. Zur Verbesserung der Bronchoobstruktion werden noch Bronchospasmin, Urbason, KetanestS und Magnesium verabreicht sowie mittels Rocuronium nachrelaxiert.

Auch während der Fahrt in die vorinformierte Klinik lässt sich die Beatmung nur unwesentlich verbessern. Auch bei Übernahme auf der Intensivstation mit Nutzung eines Intensivrespirators gelingt keine suffiziente Beatmung, so dass erneute antiobstruktive Massnahmen ergriffen werden müssen. 

 

Was kann man aus diesem Fall lernen bzw. was für Besonderheiten gibt es?

- Ein lebensbedrohlicher Status asthmaticus ist selten geworden, aber wie man sieht ist es nicht unmöglich damit konfrontiert zu werden.

- Der Patient wurde bewußtlos und mit Schnappatmung aufgefunden, offensichtliche Lebenszeichen zeigte er auch nicht. Daher hätte eigentlich (zumindest für Laien) die Indikation zur Reanimation nach den aktuellen Leitlinien bestanden. Daher war das Tasten eines Carotispulses für uns auch eher eine Überraschung und wir sahen daraufhin von Thoraxkompressionen ab. Die Frage ist nur, ob der Patient davon relevanten Schaden genommen hätte. Auch dies ist in meinen Augen eine Rarität einen bewußtlosen Patienten mit Schnappatmung auf zu finden, der aber noch einen Puls aufweist.

- Die Patientengeschichte und die aktuelle Anamnese passt eigentlich nicht zum klinischen Bild. Eigentlich hätten wir mit einer längeren "Asthma-typischen" Vorgeschichte mit mehreren Klinikaufnahmen gerechnet.

- Die Suche nach Anzeichen für eine Anaphylaxie als Auslöser verlief vor Ort negativ (keine Allergene offensichtlich, keine Allergien in der Anamnese, keine Hautzeichen, keine Tachykardie, keine Hypotonie.

 

Was sind meine Lehren aus diesem speziellen Fall und was würde ich das nächste mal anders machen?

- Pharmakologisch wäre noch Adrenalin 0,3mg s.c. indiziert gewesen, was ich jedoch bei zunehmender Tachykardie und VES nach Sympathomimetikum, Kortison und KetanestS verworfen habe. Vielleicht wäre es aber noch einen Versuch wert gewesen...

- Man muss annehmen, dass ich während der Maskenbeatmung auch den Magen insuffliert habe. Die Anlage einer Magensonde mit Entlastung des Magens hätte die Beatmung vielleicht noch etwas verbessert.

- Auf dem NEF wäre noch ein besserer Notfallrespirator verlastet gewesen, mit der die Ventilation vielleicht etwas besser möglich gewesen wäre (Bsp. I:E-Verhältnis, bessere PEEP-Steuerung, ggf. druckkontrollierte Beatmung). Unter der Vorstellung dies würde (zu viel) Zeit kosten verzichtete ich darauf. Um mich heraus zu reden kann ich natürlich jetzt auch vorbringen, dass es auch in der Klinik am hochwertigen Respirator nicht viel besser war den Patienten zu ventilieren ;-)

- Während der Fahrt hätte ich noch mit meinem eigenen Gerät eine Notfallsonographie des Thorax zum Ausschluss eines primären oder sekundären Pneumothorax machen können, es lag jedoch im NEF und ein Halt um das Gerät zu holen hätte eine weitere Verzögerung bedeutet.

 

Fazit: Fall 1 & 2 sind sicher keine Heldengeschichten, dazu bleiben zu viele Diskussionspunkte offen. Das ist auch nicht mein Ziel, sondern ich will authentisch offen von meinen Lehren aus diesen Einsätzen erzählen, die Leser finden vielleicht für sich auch noch ganz andere relevante Punkte. Ich möchte vielmehr zum Nachdenken und zur Diskussion anregen, nur so können wir besser werden.