Denkzettel aus dem Toscana-Urlaub: Anmerkungen zum Buch „Radikal führen“ von Dr. Reinhard K. Sprenger

Vorneweg:

1.)  Was hat das Buch  mit der Toscana zu tun? Prinzipiell nichts außer meinen Vorsatz mal im Urlaub nicht gleich und ausschließlich medizinische Fachliteratur zu lesen. Und so wollte und habe ich mich einer ganz andere Branche gewidmet: Dem Management. Dr. Sprenger ist einer der renommiertesten deutschsprachigen Managementberater und hat rein gar nichts mit Medizin zu tun. Aber natürlich kann ich mich nicht aus meinem gewohnten beruflichen Kontext lösen und hab das Buch mit meiner Notfall-/Akut-Mediziner-Brille gelesen und möchte daher auch in diesem Kontext meine Schlüsse aus der Lektüre ziehen. 1:1 kann man die Aussagen des Buches sicherlich nicht auf die Medizin übertragen, aber ich denke manche Impulse kann man sich schon mal aus dem Wirtschaftsmanagement „sagen lassen“, denn sie betreffen den Menschen an sich und sind daher universell zu betrachten.

2.)  Der Buchtitel hat überhaupt nichts mit einer radikalen politischen Gesinnung zu tun sondern dient eher als provokanter Aufmacher. Es geht Sprenger eher darum das Management und die Führungsarbeit von der Wurzel her (Radix) auf zu arbeiten. Mit politischen Ansichten hat dies nichts zu tun, der Autor macht hierzu auch keinerlei Angaben.

 

Struktur:

Zunächst  einmal gibt es eine ausführliche Einführung zum Thema „Führung“ an sich, gefolgt von fünf Kernaufgaben:

1.)  Zusammenarbeit organisieren

2.)  Transaktionskosten senken

3.)  Konflikte entscheiden

4.)  Zukunfstfähigkeit sichern

5.)  Mitarbeiter führen

 

Im Einzelnen:

Führung

Diese Einführung in die Thematik war ein sehr interessanter Impuls für mich, da ich ja normalerweise beruflich keine Führungsaufgabe habe. Und in diesem Buch geht es sicher auch nicht um die Führungsarbeit eines OrgLRD/LNA beim MANV, sondern um die Routine-Führungsarbeit als Vorgesetzter. Und hier ist die Führungsrolle sehr schnell nicht mehr so eindeutig definiert. Man muss sich fragen lassen: Wieviel glaube ich macht die Führungsarbeit an meiner Tätigkeit aus und wie ist es tatsächlich? Werde ich für das Führen bezahlt oder für meine eigentliche Arbeit? Ist Führung eher ein Ehrenamt? Ist Führung wirklich die logische Konsequenz aus der Weiterentwicklung des besten Arbeiters? Was sind Führungsqualitäten?

Ich möchte bewußt nicht die Antworten Sprengers hier abschreiben, sondern es ist eher ein Impuls für jeden Einzelnen sich hierüber eine Meinung zu bilden.  Grundsätzlich sieht Sprenger in der Führung  ein geleiten/begleiten/leiten wie ein weiser Berater und nicht den Mitarbeiter an der kurzen Leine zappeln zu lassen und somit seinen Willen zu brechen.

 

Zusammenarbeit organisieren

Nach Sprenger ist die Hauptaufgabe der Führungskraft die Kooperation innerhalb der Firma sicher zu stellen, er spricht hier vom „Kooperationsvorrang“. Die neu ernannte Führungskraft soll sich mit der neuen Stellung nicht zu weiteren eigenen Bestleistung pushen, sondern die  Kernaufgabe der Führung eher in der „Fremdoptimierung“ der Mitarbeiter und somit deren Leistungsförderung verstehen.

Sprenger rät auch den Begriff „Verdienst“ wörtlich zu nehmen in dem man sagt man bezahlt den Mitarbeiter besonders gut, der der Firma in besonderem Maße DIENT. Er versteht also Führung nicht als „herrschen“ über Andere, sondern als DIENSTleistung seinen Mitarbeitern gegenüber. Ziel ist die Kooperation aller Mitarbeiter, die bestenfalls deutlich mehr hervorbringt als die Addition der Einzelleistungen.

Für eine optimale Kooperation ist eine gemeinsame Problemdefinierung essenziell. Dies ist immens für die Motivation zur Kooperation wichtig. Und es fällt dem Einzelnen viel leichter ein gemeinsames Problem (und somit Bedrohung für die Gemeinschaft) zu bekämpfen/lösen als ein gemeinsames Ziel (‚nice to have’).

Hier sehe ich ein großes Problem in den Kliniken und insbesondere auch in den Hilfsorganisationen: Es werden selten und kaum transparent Probleme definiert, an deren Lösung alle Mitarbeiter arbeiten könnten. Manche Führungskräfte meinen sogar sie müßten ihre Mitarbeiter vor diesen Problemen bewahren und schustern selber daran herum ohne signifikanten Einfluss ohne Unterstützung des gesamten Betriebes. Viele (insbesondere in der Medizinbranche) gehen täglich zur Arbeit und wissen keine wirkliche Antwort auf die Fragen: Für wen arbeite ich wirklich? Was sind die Ziele meiner persönlichen Arbeit und die der Firma? Geht es nur darum nicht wegrationalisiert zu werden? Was wird denn überhaupt durch die Tätigkeit des Einzelnen und durch die Firma an sich erwirtschaftet? Geht es um den Gewinn oder gibt es eine andere Zielgröße? Uvm... Und v.a. warum werden diese wichtigen Fragen nie thematisiert und somit ansatzweise geklärt?

Wichtig ist ein internes Bekenntnis (Commitment) zur Kooperation/Zusammenarbeit, auf die sich jeder und jederzeit berufen kann. Gesucht werden keine reinen Einzelkämpfer/Perfektionisten/Idealisten sondern kooperative Mitarbeiter, die das „Anderssein der Anderen“ annehmen können. Führungkräfte können/sollen sich hier eher als Mannschaftskapitän/Coach/Trainer sehen und nicht als Aufseher oder Kontrolleur. Bestenfalls ist die Firma eine Kooperationsarena ohne internen Gefechte oder Tribalismus (siehe den separaten Blog-Artikel).

Laut Sprenger macht nichts erfolgreicher als Andere (Kollegen/Mitarbeiter) erfolgreicher zu machen.  Hierzu gehört auch mal das gemeinsame Feiern des Erreichten und Geleisteten, hierzu heißt es so schön im Buch: „ Feste sind die Liebeserklärungen an das Leben“

So betrachtet sind Abteilungsfeste viel mehr und bedeutsamer, als das Plündern der Kaffeekasse oder eine Schweigegeldveranstaltung der Firmenleitung.

 

Transaktionskosten senken

Dieser Begriff ist recht abstrakt und bezeichnet u.a. und vereinfachend alle entstehenden Kosten, die nichts mit der eigentlichen Produktivität der Firma zu tun haben. Als Paradebeispiel ist hier unter vielen anderen Kostenpunkten die Einarbeitung neuer Mitarbeiter zu nennen, wie wir es auch nur allzu gut aus dem medizinischen Setting kennen. Zur Kostensenkung ist es hier extrem wichtig die Loyalität und die Zufriedenheit der Mitarbeiter zu steigern und zu erhalten (und zwar nicht (nur) über Boni und Incentives) und somit u.a. die Mitarbeiterfluktuation und die Ausfälle zu minimieren.

Ein interessanter Aspekt war für mich: Die meisten neuen Mitarbeiter suchen sich den Betrieb an sich aus, verlassen ihn dann aber zumeist wegen Differenzen mit dem Vorgesetzten wieder. Daher sind vertrauensvolle Führungskräfte ein extrem wichtiges Firmenkapital weil es die Mitarbeiter in der Firma hält. Zudem wollen die Mitarbeiter stolz sein auf die eigene Firma (auch wenn dies längst nicht Alle zugeben wollen) und es gilt ihre „Neugieraktivität“ anhaltend zu erhalten. Heutzutage ist laut Sprenger das unternehmerische Handeln nicht mehr der  Kampf um den Kunden, sondern mit der Bürokratie. Das Management beschäftigt sich zu 90% mit Problemen, die sie selbst verursacht haben. Somit sind die Organisationen viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, was die Transaktionskosten explodieren lässt. Führungskräfte sollen sich nicht selbstherrlich als Kunde ihrer Mitarbeiter verstehen, sondern eher als Diener der Firma: „ Ich bin dafür da, dass die Anderen ihren Job machen können“ Ebenso essentiell: Der eigentliche Kunde ist die Daseinsberechtigung der Firma und nicht anders herum.

Nochmal zur Führungskraft: Sprenger rät dringend zu einer Vertrauenskultur der Führungskraft zu seinen Mitarbeitern. So heißt es: „Wer die Herzen der Menschen erreichen will, sollte sich ohnehin auf das Vorschießen von Vertrauen verstehen. Alles Vertrauen beginnt mit Großzügigkeit und es ist sehr schwer, sich dem Charme großzügig unterstellten Vertrauens zu entziehen.“

Es ist somit sehr wichtig „auf –den-Anderen-zu“ zu arbeiten, von der Perspektive des Anderen her zu denken bzw. durch seine Brille zu blicken.

Die kluge Führungskraft fragt sich nicht „was kann ich haben?“ sondern vielmehr „was kann ich dem Anderen bieten?“.  Dies hat nichts mit Selbstlosigkeit zu tun, denn der eigene Vorteil entsteht als Folge des Gebens.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist als Führungskraft das nötige Selbstvertrauen. Hierzu ein längeres Zitat welches ich mir auch persönlich auf die Fahne schreiben will (und sei es nur als Teamleader im medizinischen Notfall): „ Haben sie die Fähigkeit dem Fremden, dem Unvertrauten zu stellen? Sie müssen sich als denjenigen kennen, der auch bei Überraschungen gelassen bleibt. Sie benötigen die Fähigkeit, mit dem Unerwarteten um zu gehen und zu tun, was eine ungeplante Situation erfordert. Wenn etwas nicht klappt behalten Sie die Fassung , denn sie verfügen über ein verlässliches Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten.“

Dies hat nichts mit Überheblichkeit zu tun, sondern führt zurück auf eine andere Frage: Traue ich mir überhaupt selbst? Kann ich Anderen vertrauen? Spreche ich mir und jedem meiner Kollegen eine gewisse Risikomündigkeit zu?

 

Konflikte entscheiden

Hierzu gibt es ganze Regale von Literatur.  Aufgreifen möchte ich Sprengers Führungsbegriff in diesem Kontext: „Führung hat die ihre Aufgabe jenseits der Routine, nämlich im Konflikt, in dilemmatischen Situationen... Um aber Stillstand zu vermeiden muß Führung entscheidungsbereit sein... im Regelfall durch Dialog, im Einzelfall Entscheidungen durchsetzen.

Nach einem Konflikt wird im beruflichem Kontext zur künftigen Vermeidung häufig ein Projekt ins Leben gerufen, wobei Projektmanagement eigentlich nicht gleich Changemanagement ist. Es ist jedoch grundsätzlich die sog. ‚Changeability’ zu klären: Gibt es überhaupt eine Veränderungsbereitschaft, eine Veränderungsfähigkeit und eine Veränderungsmöglichkeit?

 

Zukunftsfähigkeit sichern

Diese Problematik ist heutzutage in der freien Wirtschaft sicherlich noch viel viel mehr ausgeprägt als im medizinischen Sektor, aber auch in der Medizin überschlagen sich die in dieser schnelllebigen Zeit sowohl fachlich als auch die organisatorischen/bürokratischen Vorgaben. Was wir gestern geglaubt haben ist heute schon obsolet, nichts erscheint mehr sicher... eine Garantie will keiner mehr für nichts aussprechen, in finanzieller Hinsicht schon gar nicht. Dafür werden wir täglich mit einer Flut von Informationen überschüttet, die wir zugegebenermaßen nicht mehr kanalisieren/auswerten können. Somit rennen wir immer unserem eigenen Defizit hinterher. Bezüglich der Folgen dieser modernen Zeit in der Wirtschaft verweise ich auf Sprengers Buch, auch wenn die Ausführungen hierzu sehr spannend sind.  Ich möchte hier freier aber selbstkritischer herangehen: Bin ICH denn noch zukunfstfähig? Wo bin ich ‚state oft he art’ und wo ist der Zug für mich bereits abgefahren? Wo setze ich meine Schwerpunkte und  wo will/kann ich künftig Gas geben um den Anschluss zu halten?

Viel Spass beim Nachdenken und bitte nicht frustrieren lassen, es ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit...

Menschen führen

Ich hatte den Eindruck bei der Lektüre „endlich kommt er zum Punkt, zum eigentlichen Thema“. Dabei ging es schon die ganze Zeit im Buch um „Radikal führen“ und das Abschlusskapitel setzt dem Ganzen Buch nochmal den Hut auf.

Ein wichtiger Punkt ist die Personalpolitik und das entsprechende Auswahlverfahren. Hier wird noch extrem viel Schindluder getrieben bzw. es entstehen hierbei nur unnötige Transaktionskosten durch ineffektive Stellenausschreibungen und Bewerbungsverfahren. Sprenger ruft auf, auch wieder mehr Wert auf die Probezeit zu legen, weil man währenddessen erst wirklich erkennen kann, ob der „Neue“ auch wirklich zur Tätigkeit und in die Firma passt. Hat man sich dann für den Mitarbeiter entschieden ist es elementar ihn aber weiter und anhaltend zu fördern und zu begleiten, damit er sich entwickeln kann und wertgeschätzt fühlt. Hierzu ist keinesfalls ständiges Lob notwendig, da man dies auf Dauer eh kaum ernst nehmen kann. Vielmehr geht es um einen angenehmen und häufigen Kontakt zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Wichtig ist hier das Sprechen miteinander (nicht immer nur fachlich) und möglichst der Reduktion des Schriftverkehrs auf ein Minimum. Wenn schon kein persönliches Gespräch möglich ist, dann aber zumindest ein Telefonat ehe man zur Computer-Tastatur greift.  Im Zentrum der Führung sollte das gegenseitige Vertrauen stehen. Dies besteht nicht von allein sondern ist ein aktiver aber lohnenswerter Prozess. Aber eben hier muss man auch mal Vorschusslorbeeren verteilen, denn man wird seltener enttäuscht als man immer denkt und die Kontrollmechanismen (als Ausdruck von Mißtrauen) kosten deutlich mehr als sie einsparen. Nur ein wertgeschätzter Mitarbeiter, der sich dem ihn gesetzte Vertrauen bewußt ist kann sich entfalten, weiter entwickeln und somit einen überdurchschnittlich und außerordentlich guten Job machen.

Zu diesem Vertrauen gehört auch, dass man seinem Mitarbeiter eine „Selbstführung“ zutraut und ihn hierzu ermutigt. Aber schafft man sich hierdurch nicht selbst als Führungskraft ab? Eigentlich ist dem nicht so und wenn dem so ist, hat nicht der Mitarbeiter gewonnen sondern man hat selbst als Führungskraft versagt. Die gute Führungskraft behält das „big picture“ im Auge und kennt die Zusammenhänge und greift bei entsprechender Notwendigkeit plan- und massvoll ein und setzt ansonsten auf die Selbstverantwortung seiner Mitarbeiter.

Die Krönung der Führungstätigkeit ist laut Sprenger (und das kann ich nur voll und ganz als mein Ziel unterstreichen): „Im Leben Anderer einen Unterschied zu machen“ bzw. „Beitragender“ zu sein. Sprenger ruft auf die Augen zu schließen und sich fünf Personen in einem Raum vor zu stellen, die für einen persönlich beruflich „einen Unterschied gemacht“ bzw. „zur eigenen Entwicklung maßgeblich beigetragen“ hat. Jedem werden vermutlich hier andere Persönlichkeiten einfallen, manchmal wird es Überschneidungen geben. Wenn man zu diesem Personenkreis nur eines seiner Mitarbeiter gehört hat man als Führungskraft einen exzellenten Job gemacht!

 

Nun weiß auch ich auf was ich drauf hinarbeiten will! Für mich wäre es eine große Ehre und Erfüllung für jemanden „einen Unterschied gemacht zu haben“ bzw. „maßgeblich zur beruflichen Entwicklung beigetragen zu haben“. Dies kann man sich nicht erkaufen oder sich erschleichen, man kann es sich nur verdienen. Also dann, los geht’s – ich bin wieder motiviert nach dem Urlaub, so schön und erholsam und somit wichtig er auch war, wieder beruflich (= Berufung) ein zu steigen.

 

Ich kann abschließend jedem, nicht nur Managern und Führungskräften das Buch „Radikal führen“  von Dr. Reinhard K. Sprenger nur wärmstens zur Lektüre und als „Arbeitsbuch“ an sich selbst empfehlen, es hat auch in mir „einen Unterschied gemacht“.