Wikipedia versteht und Tribalismus:
"...Tribalismus (Stammestum, englisch tribalism) bezeichnet eine Sichtweise der (gesamten) Gesellschaft als eine Menge kleinerer Gemeinschaften, der Stämme. Die traditionelle Definition beinhaltet, dass sich Stämme durch eine ethnisch homogene Bevölkerung, eine einheitliche Kultur, ein gemeinsam bewohntes Land, aber vor allem durch klare Abgrenzung ihrer Identität gegenüber anderen Stämmen definieren (Ethnogenese). Aus diesen Gründen werden Stämme bei der Bildung von Nationalstaaten vielfach als hinderlich erachtet.
Die Begriffe Tribalismus und Stamm sind durch die Kolonialzeit als Charakterisierung „primitiver“ Gesellschaften vorbelastet und werden heutzutage in der Ethnologie nicht mehr verwendet. Allerdings ist diese klassische Definition in einigen Punkten mindestens zweifelhaft.
Entscheidend für den Tribalismus ist das dahinter stehende Weltbild und die gesellschaftliche Struktur der Stammesgesellschaften. Nach Vine Deloria ist Tribalismus eine Art Gefühlszustand des „nicht alleine gelassen seins“, bei dem sich das Individuum sicher und aufgehoben fühlt. Nach Ferdinand Tönnies zeichnet sich eine Gruppe im Sinne einer Gemeinschaft im Gegensatz zur Gesellschaft durch Vertrautheit, gemeinsame Interessen und Ziele, Wertvorstellungen und Rituale aus. Tribalismus ist also als eine Form des Lebens in Gemeinschaften zu betrachten..."
Ich (und andere "Querdenker") habe Tribalismus etwas anders verstanden / kennengelernt und nenne es „Stammesdenken“. Die Medizinbranche ist für mich ein Paradebeispiel dieser „Unart“.
Grundsätzlich ist es ja überhaupt nicht schlecht, ganz im Gegenteil, ein „Wir-Gefühl“ zu entwickeln. Dies ist essentiell für die Teamentwicklung: Man fühlt sich zusammengehörig, steht füreinander ein, hilft sich gegenseitig. Daher ist überhaupt nichts dagegen zu sagen und es ist völlig sinnvoll und notwendig innerhalb der Gruppe.
Worauf es mir aber im Folgenden vielmehr an kommt ist die Abgrenzung des eigenen „Stammes“ gegenüber Anderen. Natürlich werden entsprechende Vorwürfe immer vehement verneint, denn man arbeitet ja schließlich transparent und bedingungslos zusammen. Aber ist das so? „Wir von xx“ und „die von xy“, man kann unendlich viele Gruppen in diese Platzhalter einsetzen. Man arbeitet ziemlich oder recht gut zusammen, aber wirklich absolut „reibungs-„ und „bedingungslos“?
Verfolgt man beispielsweise den Weg eines Notfallpatienten vom Rettungsdienst, Notaufnahme, OP, Intensivstation auf die Bettenstation werden so viele „Stämme“ durchwandert, dass es in der Summe zu erheblichen Reibungsverlusten kommt. Begünstigt wird dieser Effekt noch dadurch, dass es innerhalb der jeweiligen Organisationseinheiten nochmal mehrere „Unterstämme“ (bsp. multiprofessionelle Gruppen) gibt, die auch nicht ganz flüssig zusammenarbeiten.
Ich habe natürlich noch nie entsprechende Erfahrungen gemacht, aber folgende Aussagen wären u.a. hypothetisch denkbar:
„Soll die Notaufnahme ihr Blut doch selber abnehmen...“
„Den Blasenkatheter sollen die dann nachher im OP legen...“
„Die von Intensiv mit ihrer Ernährung...da sollen die sich dann Gedanken machen“
„Es reicht wenn der Patient dann später auf der Bettenstation abführt, da sollen die sich drum kümmern...“
„Das habe ich jetzt in der Visite vergessen zu fragen, aber wenn die Ärzte da nicht selber drauf kommen kann ich auch nichts für...“
„Das kann jetzt keine Arztaufgabe sein, ich kann mich jetzt nicht um alles selber kümmern...“
Der Kollege/die Kollegin „Die“ muss wirklich extrem fleissig sein... und annähernd omnipotent....
Zum Begriff Team fällt mir dann gleich die Abkürzung ein „T.oll E.in A.nderer M.acht`s (T.E.A.M.)“ ein.
Zumeist will kein Stamm dem Anderen etwas Böses, aber das Patientenwohl gerät rasch aus dem Fokus: Dem Patienten ist mehr als daran gelegen bündig und nahtlos behandelt und betreut zu werden, er wünscht sich, dass die Kettenglieder ineinander greifen. Ihm/ihr ist es völlig egal, wie sich die Gruppen intern definieren und sich von anderen Gruppen abgrenzen.
Ich will mit diesem Artikel wahrlich nicht mit meinem Finger auf Andere zeigen, sondern mich vielmehr schuldig bekennen. Jeden Tag gebe ich mich sicherlich auch mehrfach dieser wie ich empfinde „Unart“ hin. Ich denke dies liegt nicht allein an meiner Persönlichkeit, sondern an der (mitunter doch sehr primitiven) natürlichen Art des Menschen. Vermutlich ist so gut wie niemand frei davon. Man ist viel zu schnell dabei die Aufgaben und Verantwortlichkeiten Anderer zu definieren als die Angelegenheit selbst an zu packen, auch wenn dies ein Vorteil für den Patienten wäre.
Ich will mich aber dieser/meiner Schwäche aktiv stellen und sie aktiv versuchen zu minimieren: Im Sinne des Patienten und der Patientensicherheit. Nicht außer Acht lassen darf man heutzutage auch nicht, dass diese Reibungsverluste extreme betriebs- und volkswirtschaftliche Konsequenzen hat.
Sollte nur ich diese Schwäche haben bitte ich alle Leser um Verzeihung für die Zeitverschwendung dieser Lektüre – vielleicht mache ich mir ja auch nur mal wieder zu viele Gedanken...