Stempel-Schichtwechsel

Aber nicht nur der Stempel hat sich geändert, sondern so viel mehr. Dies ist der Grund, weshalb auch über einen Monat lang wieder Funkstille auf dieser Seite war.

 

Nun, an Weihnachten verbunden mit ein paar ruhigen Stunden und Tagen realisiere ich erst, wie anstrengend und kraftraubend die letzten Wochen waren. Langsam pirsche ich mich an meine gewohnte Leistungsfähigkeit wieder heran und gestehe mir ein, zuletzt ganz schön neben der Spur gelaufen zu sein.

 

Bereits im November nahm die vierte Corona-Welle richtig Fahrt auf: Immer mehr Infektpatienten melden sich bei uns in der Praxis – unsere eigenen Patienten und auch Viele anderer Praxen, die sich aus der Infektbehandlung vollkommen zurückgezogen haben (ich werte diese Tatsache jetzt mal nicht, weil es sonst den Rahmen sprengt). Die reguläre Infektsprechstunde ist häufig schon über einen Tag im Voraus voll und so öffnen wir beinahe täglich eine oder sogar mehrere weitere Infektsprechstunden um die akuten Patienten wenn irgend möglich innerhalb 24h zu versorgen. Viele Durchbruchserkrankungen, also C19-Infektionen trotz Impfung, haben wir leider zu verzeichnen. Dennoch ist die Impfkampagne in unseren Augen ein voller Erfolg, denn die Durchbruchserkrankungen unserer Patienten sind fast ausnahmslos milde. Die leider wieder auch bei uns versorgten schweren Verläufe sind beinahe alle ungeimpft. Daher haben wir uns auch mit aller Kraft der aktuellen Impfkampagne des Bundes angeschlossen und verimpfen was wir an Impfstoffen bekommen. Nicht nur in der Praxis, sondern auch im Rahmen externer Impfaktionen. Mit besonderem Stolz erfüllt mich die Impfaktion in meiner Heimatgemeinde Horben, bei der das Team des Gesundheitszentrum Todtnau immerhin ca 150 Impfungen verabreichen konnte – besonders glücklich machten mich hierbei die Erstimpfungen und auch eine Impfung als Hausbesuch. 

Diese Pandemie-Schlacht ist auch noch lange nicht ausgestanden und vorüber, es wird noch viel Ausdauer und Kraft gefragt sein. Manchmal fällt es mir zugegebenermaßen schwer tapfer und zuversichtlich zu sein, aber eine Resignation wäre jetzt definitiv der sichere Untergang. 

 

Mitte November kam es dann für uns zur Katastrophe: Plötzlich und für uns Alle unerwartet verstarb der Seniorchef des Gesundheitszentrums Todtnau-Schönau Dr. Thomas Honeck. Persönlich verlor ich somit einen wichtigen Lehrmeister, Mentor, geschätzten Kollegen und auch guten Freund, was mir gehörig den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Aber dies ist natürlich nichts im Vergleich zu der Trauer der Familie, u.a. seine „Kinder“ Andrea und Martin, die ja als Ärzte im Gesundheitszentrum leitend tätig sind. Über Nacht musste man trotz aller Trauer mitten in der Corona-Welle versuchen die Praxis am Laufen zu halten. Der Senior und ich hatten noch so viel gemeinsam vor: Zwar hatten wir uns schon vor zwei Jahren darauf geeinigt, dass ich nach meiner Quereinsteiger-Weiterbildung in der Praxis bleibe und mittelfristig seine Nachfolge antreten würde, aber so hatten wir es uns wahrlich nicht vorgestellt. Ganz behutsam hatten wir die Übergabe geplant, erst mehr auf dem Papier, dann zunehmend auch in der Patientenversorgung und dem Praxismanagement. Mir war sofort klar, ersetzen kann ich keinesfalls „den Senior“, no chance! Dazu war er viel zu fleißig, tapfer, hart zu sich selbst und in seiner Art ein Unikum. Aber ich konnte versuchen wie eine Maus im Butterfass zu strampeln und so versuchen den Praxisbetrieb zu unterstützen. Es hat Wochen gedauert, aber nun beziehe ich zaghaft und anhaltend verunsichert „sein“ Arbeitszimmer in der Praxis. Ein großes Bild von ihm habe ich mir an die Wand gehängt, um einen „Ansprechpartner“ zu haben, wenn ich fragend, verzweifelt und manchmal auch sauer bin. Er konnte auch fluchen, er wird es verstehen. Nie habe ich im Leben mir vorstellen können mal eine Trauerrede zu halten, so war es auch für mich im Namen der Praxisbelegschaft ein schwerer Gang, aber ich wollte für das Team auch diese Verantwortung übernehmen.

 

Ungefähr einen Monat nach dem Todesfall hatte ich dann meine Facharztprüfung Allgemeinmedizin. Es überrascht vermutlich nicht, dass man sich die Vorbereitung darauf auch wahrlich besser ausmalen könnte. Ich konnte über weite Strecken keinen klaren Gedanken fassen und jagte so vielen offenen Aufgaben hinterher, da war an eine anständige Prüfungsvorbereitung nicht zu denken. Umso größer war der Felsbrocken, der mir nach der Prüfung vom Herzen viel. Dabei ist der Titel mir doch selbst gar nicht wichtig, aber vielmehr ist er notwendige Voraussetzung die Teilhaberverantwortung in der Praxis zu übernehmen – daher lastete ein großer zumindest subjektiv empfundener Druck auf mir.

Ich möchte mir auch nicht anmaßen, dass ich nun die Allgemeinmedizin umfassend beherrsche – dazu ist dieses Fachgebiet viel zu groß. Im Prinzip gibt es ja nichts, was man ausklammern könnte. Daher wurde ich und bin anhaltend immer ehrfürchtiger und demütiger vor diesem Fach, um so länger ich mich damit beschäftige. Die Anästhesie bildet sich ja schon ein „der Generalist“ im Krankenhaus zu sein, in freier Wildbahn außerhalb der Klinik ist es aber gewaltig mehr in der Allgemeinmedizin. Ich kann dieses Fachgebiet jedem Mediziner nur wärmstens empfehlen, wenn er einen generalistischen Blick auf die Medizin erhalten will. Auch als Quereinstieg aus einem anderen Fachgebiet ist es weit mehr als ein Kompromiss oder Option, sondern eine lohnende Herausforderung. Ich empfinde es als große persönliche Bereicherung, dadurch auch abseits vom notfallmedizinischen ABCDE noch ein breites Fachwissen zu haben und somit das "big picture" der Medizin etwas besser  wenn auch weiterhin lückenhaft erfassen zu können

Genauso wenig wie ich damals ein klassischer Anästhesist war, so würde ich mich nun auch nicht als Muster-Allgemeinmediziner bezeichnen. Dies muss in meinen Augen auch nicht sein und man darf sich durch eine solche Kategorisierung nicht einschränken lassen. Ich würde mich selber weiterhin lieber als Akutmediziner bezeichnen mit einem breiten Repertoire von der präklinischen Notfallmedizin über die Akutbehandlung in der Praxis/Klinik bis hin zur Intensiv- und zur rechten Zeit auch Palliativmedizin. Ich empfinde es weiterhin als großes Privileg in der präklinischen Notfallmedizin und als Landarzt/Bergdoktor tätig sein zu dürfen, weil dies wohl meinen Neigungen am besten entspricht. Die Intensivmedizin und die innerklinische Notfallmedizin fehlt mir sehr, da mache ich keinen Hehl daraus, aber man kann nicht auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen und ich freue mich über einen anhaltend engen Kontakt und Austausch mit den Klinikkollegen auch über den Schockraum hinaus. Mein medizinischer Werdegang über die Ausbildung zum Rettungsassistenten über das mühsame Studium bis hin zum Facharzt Anästhesie und nun auch Allgemeinmedizin war zwar mit all seinen Stationen sicherlich nicht geradlinig, mich haben aber die einzelnen Abschnitte sehr vorteilhaft geprägt und vorangebracht. Die gute Vernetzung ist jetzt nur ein kleiner Bonus oben drauf.

 

Nun heißt es „zwischen den Jahren“ Kraft zu tanken um dann wieder / noch mehr Gas geben zu können: V.a. in der Praxis, aber auch im Notarztdienst, der Funktion als Ärztlicher Leiter Rettungsdienst, als Schularzt einer Rettungsdienstschule und auch in den Mandaten bei den Hilfsorganisationen. Warum der ganze Stress? Macht und Einfluss, oder gar Geld? Dies alles bilde ich mir nicht ein, sondern es geht mir um das Gute in der Sache und weil es mir eine Ehre wenn auch ebenso Herausforderung und Ansporn ist Verantwortung mit zu übernehmen.

 

Dies ist, wenn mir noch was Kritisches zum Schluss erlaubt sei, in meinen Augen heutzutage oftmals Mangelware. Man ist gerne mit dabei, aber Verantwortung zu übernehmen fällt Vielen nicht leicht. Für etwas ein- und geradestehen, in guten wie in schlechten Zeiten und Ansprechpartner sein – dies ist zweifelsohne auch anstrengend und mühsam. Aber ich scheue mich nicht davor, denn ich hatte gute Lehrmeister, die es mir vorbildlich gezeigt und vorgelebt haben. Nun bin ich wohl dran und wenn ich schlau bin gebe ich diese Einstellung, Werte und auch Fertigkeiten des „Everyday Leadership“ weiter. Der Funktion eines „Role models“ kann man sich eh nie entziehen, da kann man diese Aufgabe auch gleich ernst nehmen und es aktiv leben und somit weitergeben. 

 

Passend zu Weihnachten und auch der schwierigen Zeit möchte ich es abschließend nicht versäumen ganz herzlich Danke zu sagen. Und zwar all den lieben Menschen, die mir schon immer und gerade auch jetzt in den vergangenen trubligen Wochen so sehr geholfen und mich oftmals kraftvoll getragen haben. Es sind so Viele, ich möchte nicht beginnen sie auf zu zählen, viel zu groß ist die Gefahr jemanden zu vergessen. Eine Ausnahme will ich hiervon machen, nämlich bei meiner Familie: Nicht nur für die bedingungslose Hilfe und „Kraftspritze“, die ich von ihr permanent erhalte, sondern auch als Entschuldigung für meine nicht seltene Vernachlässigung.

 

Allein bin ich Nichts, aber zusammen im Team, egal wo, wann und wie sind wir jedoch Alles.