Seit 21 Jahren beschäftige ich (alter Sack) mich aktiv mit der Notfallmedizin. Anfänglich, ich halte dies für völlig normal, hatte ich mit den fachlich-medizinischen Inhalten mehr als genug zu tun. Umso mehr ich in den letzten Jahren Erfahrung sammeln und mich weiter qualifizieren durfte, desto mehr wuchs in mir auch das Interesse an den übergeordneten ethischen Fragestellungen unseres Fachs.
Hierzu hat der von mir sehr geschätzte Herr Prof. Salomon ein in meinen Augen sehr wertvolles und hilfreiches Buch heraus gegeben. In diesem arbeitet er und weitere sehr namhafte Autoren aus dem deutschsprachigen Raum viele wichtige Aspekte dieses sehr breiten Feldes auf. Ich hatte vor zwei Jahren die Ehre unter dem Vorsitz von Prof. Salomon bei einem Kongress in Bremen zu referieren, die Begegnung mit ihm war mir eine Freude und etwas sehr Besonderes für mich.
Ich muss aber sagen, dass das Buch schon "harter Tobak" ist, für dessen Lektüre ich auch vergleichsweise lang gebraucht habe. Dabei ist es keineswegs langweilig oder praxisfremd, ganz im Gegenteil, sondern es ist für mich vielmehr ein Arbeitsbuch: Die einzelnen hervorragend heraus gearbeiteten Kapitel haben in mir eine ausgiebige Reflexion ausgelöst, die mich teilweise tagelang begleitete, ehe ich für das nächste Kapitel bereit war. So wurde das Buch zu einer großen Bereicherung für mich.
Wer mich kennt weiß, dass ich auch ein recht invasiver und entschlossener Notfallmediziner bin, doch will ich nicht den Blick für die ethischen Belange verlieren. Für mich sind die ethischen Aspekte das übergeordnete und somit behütende Dach der Notfallmedizin. Wie heißt es so schön: Alles zu seiner Zeit! Manchmal ist entschlossenes bis "aggressives" Handeln in der Notfallmedizin gefragt, oft ist aber auch das bewußte Unterlassen die wahre "hohe Kunst". Hier bin ich wahrlich auch noch nicht am Ziel, sondern erst am Beginn eines konstruktiven Weges und ich habe noch viel dazu zu lernen. Aber einen wertvollen Grundstein habe ich durch dieses Buch sicher legen können. Ich bin fest entschlossen neben den fachlich-medizinischen sowie psychologischen Aspekten der Notfallmedizin nun auch vermehrt die ethischen Inhalte an zu gehen und will mich auch auf diesem Wege in diesem Bereich weiter entwickeln.
Ich möchte alle "Routiniers" und "alte Hasen" der Notfallmedizin aufrufen, sich aktiv mit dieser Thematik zu beschäftigen und die Erkenntnisse auch in der Ausbildung weiter zu geben (wobei es hier mehr um das Wecken von Interesse geht und nicht auf das Überstülpen von Meinungen). Zu jung kann man dafür natürlich auch niemals sein, keine Frage, ich bitte darum mich nicht falsch zu verstehen. Die Beschäftigung mit dieser Thematik ist für mich zudem ein wichtiges Tool für die mentale Gesundheitsförderung und somit auch der Burn-Out-Prophylaxe, weil man mit sich und seiner Arbeit mehr ins Reine kommt.
Ethik kann man zwar nicht in Algorithmen fassen, aber dennoch kann man auch ethische Fertigkeiten (Skills) definieren, die man somit definitionsgemäß auch trainieren kann. Und wir kennen aus vielen anderen Bereichen: Eine gute Vorbereitung (Training/Simulation) verbessert in hohem Maße die praktische Performance, weil man die elementaren Gedankengänge vorab schon beschritten hat.
Also in meinen Augen gibt es keinen Grund sich dieser Thematik zu entziehen - also ran an den Speck (auch als Vegetarier/Veganer ;-))!