Implementierung präklinische Notfallsonographie in Baden-Württemberg

Die sog. AG Grundsatzfragen hat 2022 die Einführung der Notfallsonographie auf allen notarztbesetzten Rettungsmitteln in Baden-Württemberg beschlossen. Aktuelle laufen emsig die Vorbereitungen für die Beschaffung und sowie die praktische Implementierung.

 

Dies ist nach der Einführung der Videolaryngoskopie und der Reanimationsgeräte ein nächster logischer Schritt. Die AG Grundsatzfragen ist hierfür in Baden-Württemberg die zuständige Institution, da ansonsten die Leistungserbringer und Kostenträger keine Veranlassung zur Kostenübernahme und Umsetzung sehen würden. So wird landesweit ein einheitlicher Rahmen gesetzt und eine Ausstattung ermöglicht, die oberhalb der DIN-Ausstattung liegt.

 

Ich bin persönlich natürlich von diesem Beschluss begeistert, schließlich bin ich ja bereits seit Jahren ein Verfechter dieser Technologie. So habe ich schon vor Jahren mir selber ein tragbares Ultraschallgerät privat gekauft um praktisch im Einsatz zu beweisen, wie hilfreich diese Geräte sind. Nüchtern betrachtet war diese große Investition natürlich absoluter Wahnsinn und großer Quatsch. Aber ich erkannte und weiterhin davon überzeugt bin, dass auch andere Innovationen nur ihren Weg in die präklinische Notfallmedizin gefunden haben, weil Pioniere (um nicht Spinner zu sagen) gezeigt haben was es für Vorteile mit sich bringt.

 

Interessanterweise bringen (auch bei dieser Technik) Befürworter und Kritiker die gleichen Argumente für und gegen eine Implementierung vor: Die Notfallsonographie benötigt Ausbildung, Training und Zeit in der Anwendung. Dadurch könnte sich die Vor-Ort-Zeit weiter verlängern und würde nur im Ausnahmefall eine praktische Konsequenz für die Prähospitalzeit ergeben. 

Aber ähnlich gesagt klang das damals beim 12-Kanal-EKG, Videolaryngoskopie etc. ähnlich und ich gebe auch zu, dass manche Einführung wie der der Reanimationsgeräte auch nicht unbelastet war: Auf einmal verlängerte sich die Reanimationsdauer erheblich, es wurden weniger Reanimationsbemühungen vor Ort eingestellt und somit wurden mehr Patienten mit mitunter fragwürdiger Prognose unter Reanimation in die Klinik transportiert. Aber die daraus gewonnenen Erfahrungen führten zu wirkungsvollen und segensreichen Prozessveränderungen, die inzwischen auch nachweislich viele Leben gerettet haben.

Wie bei allen medizinischen Massnahmen braucht es auch hier eine Indikation und auch Kontraindikationen, die zu berücksichtigen sind.

 

Spontan und sicher nicht vollständig fallen mir hierzu bei der Notfallsonographie folgende Punkte ein:

 

Indikationen:

-      Suche nach intraabdomineller Flüssigkeit

-      Suche nach Zeichen eines Pneumothorax, Hämatothorax oder Pleuraerguss

-      Ausschluss einer Perikardtamponade und Bewertung der Myokardkontraktion bei der Reanimation. Suche nach Zeichen der Rechtsherzbelastung bei V.a. schwere Lungenembolie.

-      Hilfe bei schlechtem Venenstatus des Patienten (Anlage PVZ oder ausnahmsweise auch ZVK)

-      Bessere Abschätzung des Volumenstatus (von mir immer wieder benutztes Beispiel sei die Dyspnoe im Altersheim – Diuretika bei Ödem oder Volumengabe bei pneumogener Sepsis?)

-      Nachweis einer grundsätzlichen fetalen Herzaktion bei Notfällen in der Schwangerschaft und ich mit meiner eingeschränkten Erfahrung konnte dadurch auch mehrfach schon Auskunft über die Kindslage bekommen.

-      Außerhalb von vital bedrohlichen Situationen Ursachensuche von häufigen Ursachen eines akuten Abdomens wie Harnstau/Nierenkonkrementen, Zeichen der Gallenblasenentzündung/Gallenblasensteinen, Harnverhalt, ... wenn dies praktische Konsequenzen in der regionalen Klinikzuweisung hat

-      ...

 

Kontraindikationen:

-      Jegliche Untersuchung ohne konkrete Fragestellung

-      Jegliche Untersuchung ohne Ausbildung und Übung des Anwenders, da dann die Aussagen zu unsicher sind

-      Jegliche Untersuchung, welche dringend notwendige andere Massnahmen verzögert. Hier sei beispielhaft die Anwendung im Rahmen der Reanimation im ungeübten Team zu nennen, weil dadurch vermutlich die entscheidenden Basismassnahmen leiden.

-      ...

 

Drei eigene Einsatzbeispiele aus den letzten Wochen:

 

1.)  Mann wird von Pferdehuf am rechten Oberbauch und Thorax getroffen. Kaltschweißig, bretthartes Abdomen, Atemnot, Schmerz 10/10. Sonogerät steht präklinisch zur Verfügung. Es zeigen sich keine Hinweise auf einen Pneumo-/Hämatothorax und auch keine freie Flüssigkeit intraabdominell. Es bleibt zwar beim nachgeforderten Lufttransport in ein Traumazentrum, der Fokus liegt aber auf einer adäquaten Analgesie und ein schonendes Vorgehen – hierunter wird der Patient rosig, der Bauch wieder weich und die Atemnot weniger.

2.)  Reanimation eines ca 60jährigen Patienten, welcher früh morgens kurz nach dem Aufstehen über heftigste Atemnot und Brustschmerzen klagt. Der bodengebundene Rettungsdienst leitet ein 12-Kanal-EKG ab, welches eine fragliche Vorderwandischämie zeigt. Kurz darauf wird der Patient reanimationspflichtig mit einer leicht tachykarden PEA. Schon beim V.a. STEMI wurde ein RTH angefordert. Ein Sono steht nicht zur Verfügung. Selbst mit Reanimationsgerät kommt das etCO2 nicht über 20mmHg. Bei notwendiger und aufwendiger Drehleiterrettung entschließen sich die Notärzte vor Ort als Ultima ration zu einer intravenösen Lyse mit der Rationalen, dass es erstaunlich für die Arbeitsdiagnose VW-STEMI nie zu einem Kammerflimmern kam und die PEA persistiert. Das niedrige etCO2, die Atemnot und die PEA könnte auch auf eine Lungenembolie hindeuten. Auch eine mechanische Komplikation bei Myokardischämie wie Ventrikelruptur/Perikardtamponade oder Mitralsegelabriss wäre denkbar. Mangels Sono konnte man diese unterschiedlichen Entitäten nicht differenzieren/abwägen und es ließ sich auch keine Prognoseabschätzung über die Myokardkontraktion bei PEA ableiten. Mit dem Rücken an der Wand entschließt man sich zur Lyse und transportiert den Patienten in den nächsten Schockraum, wo der Tod festgestellt wird.

3.)  Hochrasanzunfall außerorts mit nicht angeschnalltem Fahrer. Schweres Thorax- und offenes Gesichtstrauma. Die Raumluftsättigung ist bei 76%, die Rasselgeräusche beidseits lassen eine Blutaspiration vermuten, allerdings erscheint auch beidseits das Atemgeräusch abgeschwächt. Am rechten Thorax zeigt sich eine „flail chest“. Auch hier besteht die glückliche Situation, dass der Patient von einem fünfköpfigen Team incl. zweier NA versorgt werden kann. Die Notfallintubation ist bei der Blutaspiration unumgänglich und erfolgt mit dem Videolaryngoskop in halb sitzender Position. Aber benötigt der Patient auch eine Thoraxentlastung? Ein Ultraschallgerät steht nicht zur Verfügung zur Verifikation eines Pneumo-/Hämatothorax. „Auf Verdacht“ erfolgt parallel zur Narkoseeinleitung die Entlastungspunktion in Monaldi-Position links, wobei Luft entweicht. Daraufhin wird sofort eine Bülaudrainage links gelegt, wobei berechtigterweise aus dem Team die Frage kommt, ob der Patient nun wirklich eine Thoraxdrainage benötigt, denn die Sättigung steigt nach Intubation auf 99% an. Da aufgrund der Teamgröße die Anlage der Thoraxdrainage kein Zeitnachteil ist und der Transport dann sicherer erscheint, wird die Bülaudrainage links angelegt. Kurzzeitig kommt es dann auch zu einer erfreulichen kardiorespiratorischen Stabilisierung. Bevor es jedoch zum Transport kommt, erleidet der Patient jedoch einen Blutdruckabfall sowie eine Tachykardie. Nun wäre auch die Sonographie wünschenswert gewesen um eine traumatische Perikardtamponade aus zu schließen bzw. die rechte Thoraxseite zu bewerten. Schlußendlich wird der Transport nochmal verschoben und es erfolgt auch die rechtsseitige Minithorakotomie mit Entlastung eines Spannungspneumothorax und konsekutiver Drainageeinlage. Anschließend stabilisiert sich der Patient leidlich und wird unter Katecholamingabe in den Schockraum transportiert. Dort kann dann auch erst sonographisch die freie Flüssigkeit intraabdominell ausgeschlossen werden. Wäre es vor Ort im Rahmen des E-FAST zum Nachweis intraabdomineller Flüssigkeit gekommen, hätte es eine Strategieänderung hin zu einer reinen Entlastungspunktion beidseits und absoluter Transportpriorität geführt.

 

Damit die präklinische Sonographie gewinnbringend eingesetzt werden kann, bedarf es einer suffizienten Anwenderschulung. Hierfür gibt es durch das DEGUM-Curriculum Notfallsonographie ein exzellentes Kursangebot, jedoch mehrtägig und mit begrenzter Teilnehmeranzahl aufgrund der vielen praktischen Einheiten. Für eine zügige flächendeckende Einführung bedarf es also auch der Entwicklung weiterer Schulungsangebote fokussiert auf den präklinischen Einsatz. Hier bin ich sehr froh mit Dr. Domagoj Damjanovic einen begnadeten Kollegen und Freund zu haben, der sich genau in diesem Bereich bereits sehr eingebracht hat. Gerade unter dem Einfluss der Pandemie arbeitet er vielversprechend an den Optionen einer dezentralen aber dennoch sehr praxisorientierten sowie interprofessionellen Ausbildung. Ich bin schon sehr gespannt seinen weiteren Weg verfolgen und nach Kräften auch begleiten zu können.

Ebenso bin ich stolz mit Dr. Samuel Hemmerling einen weiteren Experten auf dem Gebiet der Notfallsonographie "in meiner Bubbel" zu haben, den ich um seine geschätzte Meinung und Hilfe bitten kann.

Ohne eine effektive Schulung wird ähnlich wie bei den anderen modernen technischen Hilfsmitteln in der Notfallmedizin hier ein immenser „implementation gap“ entstehen, der zu Frust, fehlender Akzeptanz und im schlechtesten Falle auch zum Patientenschaden durch mangelhafte Anwendung (falsch postive/negative Ergebnisse oder Zeitverzögerung) entstehen kann. Hier ist also nicht nur kollegiales Fingerspitzengefühl, sondern auch entschlossenes Handeln gefragt.

Abschließend ist natürlich auch die Beschaffung eine wichtige Aufgabe, welche mit Um- und Weitsicht erfolgen muss. Zum einen ist natürlich das finanzielle Budget gedeckelt und zum anderen ist eine Ersatzbeschaffung/Reparatur bei Defekten o.ä. aktuell nicht vorgesehen. Es muss also das Gerät mit dem bestmöglichen Preis-Leistungs-Verhältnis identifiziert sowie eine gute Schutzverpackung etc. gefunden werden. Ich persönlich habe hieran zwar Freude, in manchen Regionen kann/wird dies aber zum Problem werden.

 

Die Einführung kann und soll somit auch nicht über Nacht und kurzfristig erfolgen, sondern bedarf einer gründlichen Vorbereitung und Planung. Ich muss also noch etwas um Geduld bitten, aber dafür besteht die Chance auf eine weitere Outcome-relevante Steigerung der Versorgungsqualität. Man darf also gespannt sein und ich werde erneut berichten.