Ich möchte jetzt gar nicht länger auf dieses berühmte Zitat von Paracelsus eingehen und welches es auch in zig Varianten gibt, sondern ich möchte es nur als Einstieg in eine denkwürdige Begebenheit im letzten Klinikdienst nutzen.
Innerhalb einer Schicht habe ich zwei Patienten versorgt, die im Rahmen einer Narkoseeinleitung bzw. Sedierung mit Propofol funktionell reanimationspflichtig wurden. Funktionell deshalb, da es in beiden Fällen nicht klar war, ob es tatsächlich einen „Herzstillstand“ oder „Pumpversagen“ kam oder eher zu einer Vasodilatation (typisch für Propofol) mit konsekutiver Hypotonie bis zur Unmöglichkeit einen Puls zu tasten bzw. Blutdruck zu messen.
Es soll jetzt hier nicht zu einer Hetze gegen Disoprivan/Propofol werden, es ist ein klasse Medikament und ich habe es schon sehr sehr oft verwendet und werde es weiterhin tun.
Vielmehr ist es mir hier ein Bedürfnis nochmal darauf hin zu weisen, dass es keine eierlegende Wollmilchsau im Ampullarium gibt und zudem noch völlig harmlos ist.
Kritisch kranke und verletzte Patienten sind unheimlich empfindlich und bei einigen Medikamenten muss man erhebliche Abwandlungen vornehmen, um nicht in eine kritische Situation zu gelangen. Und da ist Propofol nur ein Beispiel unter Vielen.
Mit großer Freude unterrichte ich das Thema präklinische Narkose. Das Interesse daran ist sehr groß, egal ob in der Ausbildung oder für die „alten Hasen“ im Rahmen der Fortbildung. Häufig werde ich hier auch nach einfachen Kochrezepten gefragt, auf die man sich im Einsatz verlassen kann. Klar, die Grundzutaten sind hier schnell zusammengetragen und prinzipielle Abläufe definiert. Aber gerade bei den Dosierungen wird es extrem schwierig bis unmöglich, da hier (zu) viele Variablen eingehen. Hier wird man verantwortungsbewußt nur grobe Bereiche nennen können, was für die Teilnehmer wiederum unbefriedigend ist, weil es unpraktisch erscheint. Bei stabilen Kindern und jungen Erwachsenen können mehr als 2mg/kg KG zur Narkoseinduktion notwendig werden, bei instabilen und älteren Patienten können schon 0,5mg/kg KG zu relevanten Blutdruckeinbrüchen führen.
Auch in der Notarztausbildung ist dies ein Dauerbrenner (zumal eine Narkose ja mindesten aus den drei Säulen Analgesie, Hypnose und Relaxanz besteht und somit keine Monotherapie ist – wobei die Dosierungsangaben in den Lehrbüchern häufig davon ausgehen) und schlußendlich bemühe ich oft die Parallele aus der Küche: Man kann einfach ein Grundrezept definieren, aber wie man es umsetzt hängt von den zur Verfügung stehenden Zutaten, den eigenen Kochkünsten und dem persönlichen Geschmack. Daher ist auch hier häufig von „etwas“ Salz, Pfeffer oder pauschal von „Abschmecken“ die Rede. Wenn man hier sagen würde 8g Pfeffer und 12g Salz kann es von fade bei ungenießbar reichen. Hier wird man schnell auf die Erfahrung und das Bauchgefühl des Kochs kommen, In der Medizin gilt es jedoch häufig als verpönt, denn wir sind ja schließlich Naturwissenschaftler...
Keine Sorge, ich möchte hier auch nicht in die leidige Diskussion abbiegen, dass nur Anästhesisten Narkosen machen bzw. Propofol verabreichen sollten; es wäre unpassend und gleitet in die Polemik. Vielmehr kommt auch hier eher der alte Rat auf nur das zu verwenden, was man kennt und Erfahrung damit besitzt.
Ich möchte auch nicht, dass hängen bleibt man sollte Propofol stets niedrig dosieren: Wählt man die Dosis zu niedrig, so besteht die hohe Gefahr einer Awareness-Situation, schlechte Intubationsverhältnisse, Intubationsschäden durch Abwehrbewegungen etc.
Ich denke es zeichnet sich zunehmend ab, dass ich auch keine Universallösung für dieses und ähnliche Probleme habe.
Aber einen Tipp hätte ich doch noch: Bitte denkt an den Leitspruch „Antizipiere und plane voraus“!
Es gibt ja mehrere altbekannte Pitfalls im Rahmen der Narkoseeinleitung ohne Gewähr auf Vollständigkeit:
- Probleme bei der Atemwegssicherung bis hin zur „cannot intubate, cannot ventilate situation“ und Gefahr der Hypoxie
- Intubationsschäden
- Aspiration
- Allergie
- ...
- und eben die periprozedurale Hypotonie!!!
Erstaunlich, dass wir zumeist ein Videolaryngoskop und/oder Atemwegsalternativen mitführen und bei Bedarf einsetzen. Die Bedeutung der Präoxygenierung wird auch permanent betont. Eigentlich surrt auch immer griffbereit eine Absaugpumpe falls es zur Regurgitation/Aspiration kommt.
Aber auch wenn man weiß, dass es zu einer medikamenteninduzierten Hypotonie bis hin zum Stillstand kommen kann und auch schon kurze Episoden zu einem schlechteren Outcome (eindrückliche Daten aus der Anästhesie, dass auch bereits kurze Phasen der Hypotonie führen zu negativen postoperativen Effekten) führen, so wird die Prophylaxe gern mal vernachlässigt. Zumeist werden Zeitgründe genannt oder man beruhigt mit der Aussage, man könnte die notwendigen Vasokonstriktiva kurzfristig bereitstellen. Aber ich halte dies für einen Trugschluss: Der Blutdruck sackt ab, dann muss er erstmal gemessen werden, was bei einer deutlichen Blutdruckschwankung auch gern mal über eine Minute dauern kann bzw. zweimalig gemessen werden muss. Dann muss der Blutdruckabfall erkannt und Massnahmen angeordnet werden.
Aber wir warten ja auch nicht ab, bis die Sättigung sinkt ehe wir Sauerstoff geben oder machen uns hoffentlich vor dem dritten frustranen Intubationsversuch über Alternativen Gedanken?!
Schlußendlich liegt es auf der Hand: In Analogie zum Einleitungsraum in der Anästhesie oder auf der Intensivstation kann man auch präklinischen Patienten prophylaktisch Vasokonstriktiva geben. Präklinisch hat man zumeist keinen Perfusor parat (warum eigentlich nicht?), den man „mitlaufen lassen“ kann. Aber auch „push dose“ könnte man hier „by the way“ viel erreichen. Hier spielt in meinen Augen die Substanz erstmal keine Rolle (abgesehen von der Wirkungsdauer), egal ob Ephedrin, Noradrenalin, Akrinor,...
Ich habe es auch noch nie erlebt, dass mir hierdurch ein Patient im Rahmen der Narkoseeinleitung artifiziell hypertensiv entgleist ist. Und auch bei einem systolischen Blutdruck von 160mmHg kurz nach der Einleitung dreht sich die Welt weiter und es richtet keinen Schaden an.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Egal ob Propofol oder ein anderes Medikament, Massnahmen oder was auch immer, antizipiert und plant voraus! Achtet auf ein fundiertes Wissen und praktische Erfahrung. Demut und Ehrfurcht vor der eignen Tätigkeit hat nichts mit „Schiss oder Angst“ zu tun, sondern sorgt für sicheres Handeln.
Übrigens: Um die Frage nach dem persönlichen Geschmack vorweg zu nehmen – die geschilderte Problematik sorgt u.a. dafür, dass ich zumeist nicht mit Propofol, sondern Dormicum einleite, aber auch hier versuche ich mich individuell auf die Bedürfnisse des Patienten ein zu lassen und will bewußt mein Repertoire breit halten.