Was kann ich als Mediziner von Köchen lernen?

Man glaubt es kaum (und ich auch nicht), aber gestern Abend hatte ich mal wirklich frei und habe mich entspannt der Fernseh-Berieselung hingegeben: Auf SAT1 läuft gerade wieder eine Staffel von „The Taste“, einer Koch-Casting-Show, in der die Teilnehmer jeweils vor ihren Coaches und einem Gast-Juror (Profikoch, oft mit Sternen geadelt) bestehen müssen.

Schnell war ich von der Sendung gefesselt, was ich aber nicht dem Sendungsformat oder meinen eigenen vergleichsweise bescheidenen Kochkünsten zuschreibe. Vielmehr war ich erneut beeindruckt , mit welcher Begeisterung/Passion und oft auch Obsession alle Beteiligten (Kandidaten, Coaches, Gast-Juror) kochen und ihr Produkt schließlich präsentieren. Oft wird von Kochkunst gesprochen... die Köche sind hin und her gerissen... irgendwie ist es ein klassisches Handwerk  mit definierten Regeln und Vorgaben welches man bestenfalls „von der Pieke auf“ lernt, andererseits hat es mit zunehmendem Level auch immer mehr mit Kunst zu tun. Sei es die Auswahl der hochwertigen Produkte, die achtsame Zubereitung „auf den Punkt“ mit viel Gefühl für das Gericht (Aromen, Textur,...) sowie das kunstvolle Anrichten auf dem Teller/Löffel. Es ist wahrlich ein „Kunsthandwerk“: Alle Kunst nützt nichts, wenn man handwerklich einen Fehler macht.

 

Aber kommt mir das nicht bekannt vor? Haben wir Mediziner (und da nehme ich das nichtärztliche Personal keineswegs aus) nicht ein ähnliches Problem bzw. einen inneren Konflikt? Was sind wir? Naturwissenschaftler, Handwerker, Künstler?

Puh, schwierige Frage...

Am Wenigsten würde ich mich als Naturwissenschaftler bezeichnen: Nur mit Mühe und lückenhaft bin ich belesen und neue Daten habe ich schon lange nicht mehr generiert und habe somit keinen Beitrag mehr zu klassischen Wissenschaft beigetragen. Eigentlich würde ich mich aber noch mehr verwehren als Geisteswissenschaftler bezeichnet zu werden, allerdings bin ich täglich mit ethischen und anderen geisteswissenschaftlichen Fragestellungen, insbesondere in der Intensiv- und Notfallmedizin konfrontiert. Als Anästhesist und Notfallmediziner hat das Handwerk schon einen beachtlichen Anteil an meiner Arbeit. Permanent gilt es „Skill“ auf „Skill“ sauber ab zu arbeiten nach klaren definierten Regeln und mit festgelegtem Ablauf und Ziel. Andererseits schwärmen/schwören wir (insbesondere wir Ärzte) auf die ärztliche Freiheit, die Heilkunst! Aber auch das nichtärztliche Personal hat mehr Entscheidungsspielraum auf welche Art und Weise sie ihre Tätigkeit versehen. Es gibt Leitlinien, die immer mehr Bedeutung gewinnen und auf die man sich berufen kann und an die man sich halten sollte, aber immer mit interindividuellen Abwandlungen.

 

Ok, also scheinen beide Berufsgruppen in einem ähnlichen Identifikations-Dilemma zu stecken und wir können uns davon geplagt gegenseitig die Wunden lecken. Aber was kann ich als Mediziner nun von den Köchen lernen?

 

Wie oft habe ich es in der Medizin gehört und mich selbst schon dabei ertappt zu sagen: „Ich würde ja gerne freier und gestalter-/künstlerischer an die Arbeit heran gehen, aber die Arbeitsbelastung (der Stress) und die Begleitumstände lassen es nicht zu.“

Aber wie ist es bei den Köchen? Ich würde behaupten dort sind die Arbeitszeiten (auch ohne Rücksicht auf Wochenenden und Feiertagen und annähernd 24h am Tag) noch besch... als in der Medizin.  Auch die Wochenarbeitszeit ist häufig extrem, insbesondere als selbstständiger Koch. Der Zeitdruck ist ebenfalls extrem, denn nach 15min soll nicht nur der Notarzt auf der Matte stehen sondern auch gefälligst das Essen auf dem Teller sein. Die hierarchischen Strukturen in beiden Branchen seien nicht zu vergessen, auch wenn ich sie jetzt hier mal in der Erörterung auslassen will, weil es den Rahmen sprengen würde. Dann ist da noch die Sache mit der Ausstattung und den zur Verfügung stehenden „Zutaten“ sowie die organisatorischen Zwänge innerhalb des Betriebes/Klinik...

Trotz dieser widrigen Umstände sind die erfolgreichen Köche mit extrem viel Leidenschaft bei der Arbeit, nehmen viele Belastungen in Kauf und streben nach Perfektion. Für sie ist ihr Beruf deutlich mehr als ein sauberes abarbeiten von Bestellungen.

Es ist natürlich mühsam darüber zu diskutieren, dass es wenn der Koch mal daneben haut das Essen einfach nicht schmeckt und hingegen in der Medizin ein relevanter Patientenschaden bei Fehlern drohet Aber das müßte doch erst recht bei uns Medizinern dafür sorgen an unserer Performance zu schrauben. Und ja, ich habe auch schon herunter gekommene Küchen mit ranzigem Geruch und schlechter Speisekarte erlebt, aber wollen wir uns mit solch eine Kaschemme messen und vergleichen? Nein, sicher nicht, sondern mit einer hochwertigen Küche...

 

Übrigens, die meisten Köche verdienen nur einen Bruchteil des Arztgehalts...daran kann es also auch nicht liegen mit ihrer scheinbar grenzenlosen Motivation.

 

So genug für heute mit polarisieren und provozieren, aber ihr wisst wie ich es meine und ich denke zumindest für mich ist da schon was dran...